In den Tod gehetzt - FALTER.maily #864

Florian Klenk
Versendet am 29.07.2022

Vor zwei Wochen hatte sie schon einmal versucht, sich das Leben zu nehmen. Lisa-Maria Kellermayr wurde in eine psychiatrische Anstalt aufgenommen und am nächsten Tag wieder entlassen. Offenbar hatte man selbst ihren Suizidversuch nicht so ernst genommen, dass man sie nach dem Unterbringungsgesetz wegen Selbstgefährdung einweisen ließ. Das war das Drama dieser engagierten Ärztin aus Seewalchen: Sie wurde nicht ernst genommen. Bis zuletzt nicht.

Nun ist Österreichs bekannteste Corona-Ärztin tot. Sie schrieb Abschiedsbriefe und setzte ihrem Leben ein Ende.

Der Fall Kellermayr ist so tragisch und traurig, weil er zeigt, wie Hass im Netz, wie der Hass aggressiver Impfgegner, aber auch eine miserable Polizeiarbeit einen Menschen in den Wahnsinn und letztlich in den Tod treiben können.

Kellermayr, der FALTER berichtete, wurde von einem Anonymus im Netz massiv bedroht. Die Hasswelle nahm ihren Ausgang, nachdem die Polizei einen Tweet Kellermayrs über Corona-Demonstranten korrigierte. Schon landete sie als Lügnerin in einschlägigen Telegram-Foren, die sie zum Freiwild erklärten.

Anstatt Kellermayr schnell Polizeischutz zu gewähren und sie auch öffentlich in Schutz zu nehmen, stammelte ein unbeholfener Polizeipressesprecher dahin. Er behauptete, Kellermayr wolle sich wichtigmachen, sie sei gar nicht gefährdet. Und ein Funktionär der Ärztekammer schwadronierte schon über ihren Nachfolger in der Praxis. Kellermayer musste für die Sicherheit in ihrer Praxis selbst sorgen, die Schulden erdrückten sie.

Ich habe stundenlang mit Kellermayr telefoniert. Sie war traumatisiert, geschockt, verängstigt und in jenem Horrorszenario gefangen, das ihre Verfolger für sie ausmalten. Sie hatte Angst, nie wieder ordinieren zu können. Sie wollte sich eine Auszeit auf einer Alm nehmen, das Handy weglegen, Abstand halten von asozialen Medien. Sie beklagte und glaubte bis zuletzt, dass sie die Polizei fertigmachen wolle. Nur den neuen Chef des Verfassungsschutzes, Omar Haijawi-Pirchner, nahm sie von ihrer Kritik aus. Er sei der Einzige gewesen, der ihr zugehört habe.

Der Fall Kellermayr ist nicht einfach nur ein Suizid einer psychisch angeschlagenen Frau. Er sollte Anlass für die oberösterreichische Polizei sein, die wahre Gefahr von Hassverbrechen zu erkunden. Hassverbrechen treffen ihre Opfer meist nicht real, sondern vor allem im Kopf. Man verliert die innere Ruhe, die innere Sicherheit, lebt ständig in Panik und Angst. Psychisch ohnehin schon angeschlagene Menschen können daran zu Grunde gehen.

Es wäre billig zu behaupten, die oberösterreichische Polizei trage Mitschuld am Tod dieser Ärztin. Aber die Behörde trägt eine Verantwortung dafür, dass diese Frau nicht mehr zur Ruhe kam. Die Behörde hat ihr nicht geholfen, sondern war vor allem damit beschäftigt, Kritik an der eigenen lustlosen Polizeiarbeit abzuwehren.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat seine Betroffenheit über den Tod von Lisa-Maria Kellermayr zum Ausdruck gebracht. Das Innenministerium muss den Fall extern evaluieren. Damit so etwas nie wieder passiert. Und Justizministerin Alma Zadić sollte umgehend die Staatsanwaltschaft anweisen, eine Obduktion Kellermayrs anzuordnen, bei Redaktionsschluss war das nicht geplant. Auch der letzte Zweifel an ihrem Suizid muss ausgeräumt werden.

Ihr Florian Klenk


Hinweis

Befinden Sie sich selbst in einer psychischen Ausnahmesituation oder haben Sie Suizidgedanken? Zögern Sie bitte nicht, sich an eine dieser Stellen zu wenden!


Aus Dem Archiv

In ihrem letzten Interview mit dem FALTER beschrieb Lisa-Maria Kellermayr eindrücklich, wie sie sich von den Behörden im Stich gelassen fühlte, die ihr keinen Polizeischutz zugestehen wollten. Hier können Sie das traurige Gespräch nachlesen.


Zum Nachlesen

Im Dezember des Vorjahres haben Nina Horaczek, Katharina Kropshofer und Gerlinde Pölsler untersucht, wie sich die Impfgegner radikalisiert haben und dafür auch mit etlichen Personen gesprochen, die von Maßnahmengegnern bedroht oder bedrängt wurden. Die Reportage über die radikalisierte Szene finden Sie hier als Text und hier in Form eines kurzen Videos. Die damals aufgenommenen Protokolle bedrohter Menschen – Ärztinnen, Lehrer, Bürgermeister – finden Sie im E-Paper ab Seite 12.


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