Hell, yes! - FALTER.maily #881

Lina Paulitsch
Versendet am 24.08.2022

Geht es Ihnen auch so? Immer, wenn der Herbst vor der Tür steht, spüre ich fast so etwas wie Erleichterung. Nun verlässt mich jenes schlechte Gewissen, das mir seit Kindestagen einbläut, doch bitte raus zu gehen, Sonne zu tanken und jedes nicht voll verplante Wochenende als vergeudete Lebenszeit verbucht. Aber jetzt: endlich wieder getrost in Innenräumen sein! Endlich Kino!

Ich habe mir deshalb gleich mehrere Filme angesehen. Einen möchte ich Ihnen nahe legen: „Nope“ ist die derzeit beste Horror-SciFi-Western-Comedy, ein Genre-Mix des US-amerikanischen Regisseur Jordan Peele. Zwar windet man sich vor gruseliger Anspannung im Kinosessel, doch dank satirischer Weirdness und subtiler Parallelen zur Gegenwart ist der Film auch kein klassischer Horrortrash.

„Nope“ ist in der kargen Western-Landschaft der USA angesiedelt. Die Schwarze Hauptfigur O.J. (Daniel Kaluuya) betreibt eine Pferde-Ranch und kann mit Tieren besser als mit Menschen. Seine Schwester Emerald (Keke Palmer) übernimmt die Werbung fürs Familienunternehmen. Sie seien Abkömmlinge des ersten jemals gefilmten Menschen, erzählt sie, ein Schwarzer, den der Erfinder Eadweard Muybridge 1878 beim Reiten festhielt. Den Jockey gibt es wirklich, ob er schwarz war, ließ sich nie klären, wird aber von manchen Historikern vermutet.

Zuerst stirbt der Vater der Geschwister bei einem Windsturm, dann brauen sich eigenartige Wolkentürme zusammen. O.J. erblickt ein Ufo-ähnliches Gebilde, das am Himmel umherflitzt und schließlich Menschen verschlingt. Die beiden Geschwister beginnen einen Kampf gegen das Alien-Monster. Sie wollen die ersten sein, die ein Bild des Außerirdischen machen. Aber, nope, nein, sie dürfen nicht hinaufschauen, Augenkontakt verführt das Monster zum Angriff. Und, nope, das funktioniert nicht immer. Denn es fällt schwer, den Blick vom Horror abzuwenden.

Schon Peeles Debütfilm „Get Out“ (2017) wurde mit zwei Oscars prämiert – Peele war übrigens der erste schwarze Drehbuch-Oscar-Preisträger – dementsprechend hoch waren die Erwartungen beim neuen Film. „Get Out“ ist eine Satire auf vermeintlich liberale Amerikaner, die die Körper ihrer schwarzen Mitbürger ausschlachten und deren Organe entnehmen. Schon in diesem Film erfährt man die Geschichte mittels Daniel Kaluuyas stoisch-schüchternem Blick. Das Publikum erschrickt, wenn der schwarze Protagonist erschrickt, befürchtet, was er befürchtet – und ist überrascht, als die gutmeinenden Weißen sich dann tatsächlich als rassistische Gruselfamilie herausstellen, die weißes “Bewusstsein” in schwarze Körper transplantieren.

„Nope“ ist in der Polemik zwar weniger direkt, spielt aber auch mit stereotyper Ästhetik. Etwa jener des Cowboys. Schon „Brokeback Mountain“ nahm sich der sexuellen Identität des „harten“ Western-Helden an. Bei Peele ist der Cowboy schwarz und reitet in lakonischer Einsamkeit durch Fake-Westernstädte, die für weiße Touristen in die Wüste gestellt wurden. Oder die Figur des gezähmten Tiers, das parabelhaft in die erste Filmszene einführt. Ein Schimpanse, Star einer Sitcom in den 1990er-Jahren, rastet am Set aus und zerfleischt seine TV-Kollegen. Menschlicher Kontrollverlust, das ist der eigentliche Schocker dieses Films.

Mit lautem Sound und vielen Zitaten der Filmgeschichte ist „Nope“ jedenfalls ein richtiger guter Blockbuster. Und gerade richtig, sollten Sie auch ein wenig Lust auf Indoor-Eskapismus verspüren.

Eine schöne Horror-Movie-Night wünscht 

Ihre Lina Paulitsch


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