Das Wiener "Russendenkmal" - FALTER.maily #892

Erich Klein
Versendet am 06.09.2022

Renner und Figl und wie sie alle hießen, beherrschten die Rhetorik perfekt. Bei der Eröffnung des Denkmals am Schwarzenbergplatz im August 1945 war nur von Dank an die Rote Armee die Rede. Tausende Sowjetsoldaten waren bei der Befreiung Wiens gefallen, von Kollateralschäden auf österreichischer Seite (Plünderung und Vergewaltigung) kein Wort.

Ein anderer Gedanken war ohnedies wichtiger: Wer befreit wurde, musste ein Opfer gewesen sein! Danke, Genosse Stalin! Allein böse Zungen meinten, es handle sich beim monumentalen Kriegerdenkmal um den Hinweis auf eine drohende Sowjetisierung: 

«ВЕЧНАЯ СЛАВА ГЕРОЯМ КРАСНОЙ АРМИИ, ПАВШИМ В БОЯХ С НЕМЕЦКО-ФАШИСТСКИМИ ЗАХВАТЧИКАМИ ЗА СВОБОДУ И НЕЗАВИСИМОСТЬ НАРОДОВ ЕВРОПЫ»*

Um das lesen zu können, müsste erst russisch zur Unterrichtssprache gemacht werden (gehen Sie hin – die Übersetzung steht direkt vor dem Denkmal). Wie im Staatsvertrag vorgeschrieben, wurde das "Russendenkmal" bis zum Untergang der Sowjetunion gepflegt. Bestenfalls Feingeister stießen sich am Sozialistischen Realismus des ersten Großbauwerks der beginnenden 2. Republik. Nach 1991 wurde der Erinnerungsort gelegentlich zum Streitgegenstand.

Fürst Schwarzenberg sprach von "Stalinismus" und forderte freien Blick auf sein Palais; ein liberaler Verteidigungsminister wollte den Bronze-Russen ins Museum verfrachten, der führende Militärhistoriker des Landes drohte daraufhin, sich an der Gedenkstätte anzuketten.

Ab 2014, mit Russlands Krieg in der Ukraine, hatten auch die einträchtigen Gedenkfeiern der Vertreter der einstigen Sowjetrepubliken ein Ende. Regelmäßige Schmierereien über Stalins "Tagesbefehl" zum 13. April 1945 am Denkmalsockel verhalfen einem Reinigungsteam zum Dauerauftrag, regelmäßig mit dem Kärcher anzurücken.

Vor allem begann aber ein Krieg der Kränze zwischen ukrainischen und russischen Diplomaten: blau-gelbe gegen weiß-blau-rote Blumenberge. Der bizarre Gedenkfuror wurde heuer mit Unterstützung von außen zugunsten der Ukraine entschieden – ein Schwarzenberg-Enkel ließe die Umfassungsmauer des Denkmals effektvoll blau-gelb anstreichen.

Herrscht wieder Ruhe? Nachdem das Innenministerium die Rund-um-die-Uhr-Bewachung nach einem halben Jahr wieder abzog, darf die Diskussion beginnen, was mit dem "Russendenkmal" in Zukunft zu geschehen hat.

Als Stichwort dazu sei an die große Ilse Aichinger erinnert, die über Wiens Befreiung einst notierte: "Die Wiener glaubten und glauben immer wieder, daß sie das Recht haben, zu wählen, wem sie in die Hände fallen."

*Die Denkmalaufschrift in Übersetzung: Ewiger Ruhm den Helden der Roten Armee, die gefallen sind im Kampf gegen die deutsch-faschistischen Landräuber – für die Freiheit und Unabhängigkeit der Völker Europas

Ihr Erich Klein


über Den Autor

Erich Klein ist österreichischer Journalist, Publizist und Übersetzer. Er schreibt regelmäßig Beiträge im FALTER und in HEUREKA, dem Wissenschaftsmagazin aus dem Falter Verlag.


Aus Dem Falter 1

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Und tatsächlich: Laut Verfassung (in der Fassung von 1929) besitzt der österreichische Bundespräsident sehr weitreichende Kompetenzen. Der FPÖ-Kandidat für die bevorstehenden Wahlen, Walter Rosenkranz, drohte für den Fall seines Sieges bereits damit, die Bundesregierung zu entlassen, so diese an den Sanktionen gegen Russland festhält. "Der Bundespräsident gehört entmachtet", argumentiert deshalb diese Woche unser Kolumnist Peter Michael Lingens.


Aus Dem Archiv

Die Juristen Manfried Welan und Alfred Noll sprachen schon 2016 mit Armin Thurnher im FALTER über das autoritäre Potenzial des Bundespräsidenten. Hier können Sie dieses sehr erhellende Gespräch nachlesen.


Aus Dem Falter 2

Was Sie diese Woche sonst im FALTER lesen: Eva Konzett und Josef Redl haben beim Wien-Energie-Geschäftsführer Michael Strebl nachgefragt, was schief gelaufen ist. Tessa Szyszkowitz hat mit dem Autor Gideon Rachman ("Welt der Autokraten") über problematische Männerbilder in der Politik von Wladimir Putin bis Boris Johnson gesprochen.

Katharina Kropshofer und Daniela Krenn haben den Favoritner Problem-Hotspot Keplerplatz unter die Lupe genommen, und Michał Kokot beleuchtet die politische Dimension der Naturkatastrophe, die sich am deutsch-polnischen Grenzfluss Oder ereignet.


Falter Woche

Manuel Rubey ist nicht nur Schauspieler, Kabarettist und Musiker, sondern auch Autor. Anfang nächster Woche stellt er im Rabenhof sein neues Buch "Der will nur spielen" vor – ein willkommener Anlass für Sebastian Fasthuber mit dem talentierten Mr. Rubey ein ausführliches Gespräch über die Lust am Schreiben, Cancel Culture, Hausarbeit und Familie zu führen. Auf Seite 7 der Falter:Woche gibt Feuilletonchef Matthias Dusini einen Überblick über drei fette Kunstfestivals, die zu Beginn der Herbstsaison in Wien stattfinden.

Und der Leuchtkasten zeigt einige Motive aus dem diesjährigen World-Press-Photo-Wettbewerb, dessen stärkste Arbeiten bis Ende Oktober in der Galerie WestLicht zu sehen sind. Dazu gibt es wie immer Kurzkritiken und Tipps zu allen relevanten kulturellen Veranstaltungen der Woche.

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