Die Rückschläge des Anti-Terrorkrieges - FALTER.maily #894

Raimund Löw
Versendet am 08.09.2022

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Europas Kampf gegen den Terrorismus diesen Sommer einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Im westafrikanischen Staat Mali zog sich die französische Armee zurück. Die Franzosen hatten 2013 einen rasanten Vormarsch von Dschihadisten auf die Hauptstadt Bamako gestoppt.

Die legendäre Wüstenstadt Timbuktu mit ihren historischen Gebäuden hatten die Rebellen bereits erobert. Frankreich half der Regierung, die Kontrolle zurückzugewinnen, muss aber neun Jahre später aus der ehemaligen Kolonie abziehen. Die Militärregierung in Mali will lieber mit russischen Söldnern der Gruppe Wagner zusammenarbeiten als mit der ehemaligen Kolonialmacht. Multilaterale EU-Ausbildungsmissionen für Militär und Polizei, an denen auch österreichische Soldaten beteiligt sind, sind aufrecht, spielen aber sicherheitspolitisch keine Rolle.

Russland steckt in Afrika nicht wenig Geld und Soldaten in Einsätze, die vor allem den Zweck haben, ein Gegengewicht zu Europa zu schaffen. Mehrere westafrikanische Staaten sind instabil. Was die Verhältnisse erschwert, ist das Chaos in Libyen. Diktator Gaddafi hatte die Grenzen kontrolliert und die Dschihadisten brutal unterdrückt. Seit dem Ende des Gaddafi-Regimes strömen bewaffnete Banden aus Nordafrika durch die Sahara in Richtung Südwest. Mali war das erste, aber nicht das einzige Opfer.

Rückschläge müssen auch die USA am Horn von Afrika hinnehmen. Als schlimmstes Beispiel eines "failed state", eines gescheiterten Staates, gilt Somalia. Seit der prosowjetische Diktator Siad Barre vor 30 Jahren gestürzt wurde, kommt das Land nicht zur Ruhe.

Die mit al-Kaida verbundene dschihadistische al-Shabaab-Miliz führt seit Jahren einen brutalen Vernichtungskrieg gegen die wechselnden Regierungen in der Hauptstadt Mogadischu. Die Hoffnung, dass al-Shabaab geschwächt wurde, ist verflogen. Ein blutiger Anschlag auf das Hayat Hotel in Mogadischu hat vor Kurzem gezeigt, das al-Shabaab auch in der Hauptstadt aktiv ist. US-Präsident Joe Biden musste widerwillig die amerikanische Militärpräsenz in Somalia erhöhen.  

Am 31. Juli haben die USA Ayman Al-Zawahiri, den Nachfolger Osama bin Ladens als Chef von al-Kaida, mit einer Drohne getötet. Der aus Ägypten stammende Al Zawahiri saß in der afghanischen Hauptstadt Kabul auf dem Balkon, als er von den amerikanischen Raketen getroffen wurde.

Anschläge von Geheimdiensten und Militärs auf Dschihadisten gehören zum Reservoir des Anti-Terrorkampfes. Targeted assassination, gezielte Ermordung, so lautete lange Zeit der gängige Begriff. Inzwischen spricht man über gezielte Tötung, was Zweifel über die Rechtmäßigkeit reduzieren soll.

Ob Drohneneinsätze weit weg von jedem militärischen Schlachtfeld mit dem Kriegsrecht vereinbar sind, ist umstritten. Bei Drohnenangriffen sind nach Recherchen der New York Times in den vergangenen Jahren tausende Zivilisten ums Leben gekommen, um vieles mehr als das Pentagon zugibt.

Für den Drohnenkrieg hat der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin kürzlich eine Kurskorrektur angekündigt. Es soll weniger zivile Opfer im Anti-Terrorkrieg geben. Eine neue Kommandostruktur und eine besonderer Akzent bei der Ausbildung der Soldaten soll den sogenannten Collateral Damage, also unschuldige zivile Opfer, bei US-Militäraktionen reduzieren.

Auslöser waren Recherchen der New York Times, wonach ein Drohnenangriff in Kabul während des US-Abzuges irrtümlich einen Flüchtlingshelfer und sieben Kinder ausgelöscht hat und nicht einen Attentäter der Organisation Islamischer Staat.

Menschenrechtsorganisationen begrüßen die überfälligen Schritte. Die Diagnose, dass der globale Anti-Terrorkampf in einer Sackgasse gelandet ist, bleibt unverändert aktuell, meint

Ihr Raimund Löw


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