"Macht Putin platt" - FALTER.maily #896

Daniela Krenn
Versendet am 11.09.2022

Am Dienstagabend war Pussy Riot zu Besuch in Wien und ich hatte die Gelegenheit, sie backstage noch auf ein kurzes Gespräch zu treffen. Die Punk-Band, die mit den Sturmhauben vor elf Jahren in einer Moskauer Kirche "Verjagt Putin" schrie, ist seit Anfang März auf Europatournee. 

Wer ein Musikkonzert erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die vier Frauen spielten nicht einen Song nach dem anderen. Sie erzählten im Sprechgesang, was politischen Aktivisten in Russland droht – und wie sie das selbst erfahren haben. Sie positionieren sich klar gegen den russischen Angriffskrieg. Die Hälfte ihrer Einnahmen spenden sie an ein ukrainisches Kinderkrankenhaus.  

Sie touren aber auch, weil sie nicht nach Hause können. Bremen, Münster, Wien, Bratislava, jeden Tag eine neue Stadt. Ihr vorerst letztes Konzert spielen sie am 5.11. in Oslo. Wo sie dann bleiben? Wissen sie nicht, aber zu Hause droht ihnen Gefängnis. 

"Macht Putin platt!

Backstage im Wiener Jazzlokal Porgy & Bess sitzen Marija (von den anderen drei nur Mascha genannt), Olga, Dijana und Taso auf roten Ledercouches. Mascha ist die Älteste, sie ist 34. Vor ihr am Tisch stehen die Reste von rotem Curry und Reis, daneben eine halb leere 49er Schachtel rote Gauloises. 

"Wir sind eine feministische, politische Gruppe gegen Homophobie und den Krieg", sagt Mascha so, als hätte sie es schon Tausende Male gesagt. Mit ihren blonden Locken und der weißen Haut wirkt sie zerbrechlich. Ihre Stimme passt viel eher zu ihrer selbstbewussten Erscheinung auf der Bühne, sie ist tief und rau. Und zu den vielen Zigaretten, die sie raucht.

Dijana zeigt Fotos von ihren drei Katzen, sie sind in Moskau zurückgeblieben, ihr Freund kümmert sich jetzt um sie. Olga erzählt, sie habe eine Wohnung in Georgien. Das wäre eine Notlösung, um nach der Tournee erst einmal wo leben zu können. Tosa ist erst seit eineinhalb Jahren bei Pussy Riot. Sie ist LGBTQ-Aktivistin, in Moskau droht ihr dafür Strafe. Erst 2013 erließ der Kreml ein Gesetz gegen homosexuelle Propaganda.  

Moskau habe sich seit Kriegsbeginn verändert. "Überall waren Z-Zeichen an Wänden, Autoscheiben. An alle offiziellen Gebäude ließ Putin Hunderte russische Flaggen hängen. Als versuche er damit den Patriotismus stärken", erzählt Mascha kopfschüttelnd. Was Putin da treibe, sei pure Machtdemonstration. Wer sich dagegen stellt, wird bestraft. Bereits im vergangenen Jahr saßen über 400 politische Gegner in Haft.

Keine der vier war seit Anfang März zu Hause. "Zu 99 Prozent wäre ich da im Gefängnis", sagt Mascha. Sie sagt es nicht traurig, auch nicht ängstlich. Sie sagt es trotzig. Mit einem Essenstransporter ist sie nach Europa geflohen, damit sie ihre Geschichte erzählen kann. 

2011 schlossen sich rund zehn Frauen zur Aktionsgruppe zusammen, veranstalteten mehrere Protestaktionen im Vorfeld der Präsidentenwahl in Russland und gegen die Orthodoxe Kirche, die Putin offen unterstützte. "Damals haben die Pfarrer in der Kirche gesagt, man solle Putin wählen. Heute weihen sie Soldaten, die in den Krieg gegen die Ukraine ziehen."

Mittlerweile sind viele Mitglieder von Pussy Riot weltweit verstreut. Eine von ihnen, Nadya, beispielsweise ist in Los Angeles und macht dort Musik. Und es sind neue Mitglieder dazugekommen, wie Taso. Das gemeinsame Motto ist geblieben: verjagt Putin.

Hinter der Bühne wirken die Frauen erschöpft, das viele Reisen, jeden Tag ein neues Hotel, es ist anstrengend. Und nicht alle finden gut, was sie hier machen. Dijanas Vater sei ein Putinversteher, er schaue täglich Staatsfernsehen und sei skeptisch, ob nun Krieg sei oder nicht. "Er versteht nicht, warum ich das tue", sagt Dijana.

Seit der Kreml unabhängige Medien noch weiter einschränkte und soziale Netzwerke wie Instagram und Facebook blockierte, sind viele Russen von der Außenwelt abgeschnitten. 

Zuvor im schwülen Saal des Porgy & Bess erlebten die Zuschauer die Frauen wilder. Manchmal wollte man schmunzeln, wenn sie "Macht Putin platt" schrien (auf Russisch, hinter ihnen lief eine deutsche Übersetzung), doch dann erzählten sie von Polizisten, die nachts an ihre Türe klopften, sie nackt verhörten.

Oder von Mascha, die zwei Jahre ins Straflager musste, Hausarrests bekam, ihren Reisepass abgeben musste. Einmal spritzte Olga mehrere Wasserflaschen ins Publikum. Angenehm aufgrund der Hitze im Saal. Das Wasser war aber nicht zur Abkühlung des Publikums gedacht. Es sollte zeigen, dass die Gefängniswärter mit Mascha während ihrer Zeit im Straflager dasselbe machten. 

Riot gegen Putin geht außerhalb von Russland weiter 

Protestaktionen machen die Frauen auch abseits der Konzerte. Erst vor zwei Wochen sprayten sie ein Graffito in Bern an eine Hauswand. Die Polizei erwischte sie, sie mussten für ein paar Stunden auf die Wache. 

Das Graffito zeigt eine Kilometerzahl: So weit ist es von diesem Standpunkt aus bis zum Krieg in der Ukraine. Nach der Festnahme der Aktivistinnen wurde es von den Schweizer Behörden entfernt. "Irgendjemand hat es dann eine Nacht später wieder drauf gesprayt", sagt Olga stolz.

Das finden die Frauen gut. So sieht ihr Protest aus und sie wünschen sich, dass ihn so viele wie möglich nachmachen. In Russland geht das derzeit nicht, da politische Gegner verfolgt werden. Deswegen muss der Rest der Welt Druck auf Putin machen, so ihre These. 

Wie es nach November weitergeht? Mascha plant nicht so weit voraus. "Alles kann passieren. Aber solange der Krieg dauert, werden wir alles tun, damit er nicht aus den Köpfen der Menschen verschwindet."

Falls Sie in der Nähe sind, die nächsten Konzerte spielt Pussy Riot in England,

Ihre Daniela Krenn


Buchtipp

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