Gedankenspiel - FALTER.maily #933

Katharina Kropshofer
Versendet am 24.10.2022

Vergangene Woche wäre der Humanökologe und Autor Andreas Malm nach Wien gekommen. Dann hätte er auf dem Aktionstag der Akademie der Bildenden Künste gesprochen (diese versuchen sich im Oktober gerade an einem Nachhaltigkeits-Selbstversuch). Wäre der Vortrag nicht aufgrund Malms Positionen zur Israelfrage abgesagt worden (er bezeichnete den Staat als "zionistische Entität”, ob das schon "canceln" ist, fragt sich der FALTER hier).

Malm hätte wahrscheinlich sein Buch erwähnt, "How to blow up a pipeline", oder "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt", das für viele Klimaaktivist:innen zu einer Art Bibel geworden ist. 

Vielleicht hätte er auch davon erzählt, wie viele Leute den Titel seines Buches falsch verstehen, den Inhalt nicht ganz richtig wiedergeben. Er hätte dann womöglich erklärt, was er damit meint, nämlich, dass Inaktivismus in Anbetracht einer bevorstehenden Klimakatastrophe Sabotage von Sachgegenständen legitimiert. Dass das Fortschreiten der Klimakrise auch als eine Form der Gewalt angesehen werden muss. 

Vielleicht hätte er sich auch zu den aktuellen Aktionen geäußert, bei der Aktivist:innen der Gruppen "Just Stop Oil" und "Letzte Generation" sich an Gemälden festkleben, sie mit Tomatensuppe bewerfen oder wie gestern mit Kartoffelpüree. Oder wie heute Wachsfiguren von King Charles im Londoner Madame Tussauds mit Schokokuchen beschmierten, um zu fordern, dass die britische Regierung keine neuen Öl- und Gaslizenzen mehr vergeben soll. Irgendwie wäre in der Diskussion auch vorgekommen, dass weder die Sonnenblumen von Van Gogh, noch der Getreideschober von Monet dabei beschädigt wurden, die Aktivist:innen das wussten. 

Vielleicht hätte ich ihm eine Frage gestellt und meine Gedanken ausgedrückt. Etwa – so habe ich auch in der aktuellen FALTER-Ausgabe argumentiert –, dass das Ziel der Aktion, maximale Aufmerksamkeit zu bekommen, zwar erreicht wurde, ich aber trotzdem ein paar Bedenken habe. Nicht, weil ich glaube, dass die Aktion nichts gebracht hat (immerhin reden wir heute, mehr als eine Woche später, immer noch davon). Sondern weil für mich Fatalismus mitschwingt, eine Denkweise von "Es ist eh schon alles egal" vermittelt wird, der ich nicht ganz folgen kann. 

Ich hätte argumentiert, dass sich die Dinge viel zu langsam ändern, aber noch nicht alles verloren ist, wir keine Wahl haben, außer optimistisch zu sein. Dass ich mir wünschen würde, dass die Aktivist:innen das Scheinwerferlicht, in dem sie jetzt stehen, dafür nützen, Nuancen zu betonen. Etwa die Bedeutung jedes Zehntel Grads Erderhitzung, das wir vermeiden können, die großen Unterschiede zwischen 1,5 Grad und 2 Grad Erderhitzung, die Pfade zu Klimaneutralität. 

Eventuell hätte Malm dann auch erwähnt, dass die desperate Dringlichkeit der Klimakrise auch eine vorsichtige Abwägung der negativen Auswirkungen erfordert. Dass die Militanz, so sehr sie in Anbetracht der aktuellen Weltlage gerechtfertigt ist, auch nach hinten losgehen kann. 

Am Ende wären wir uns bestimmt über eine Sache einig geworden: Dass es einen verzweifeln lässt, wenn Staaten wie Österreich wieder ihre Klimaziele verfehlen, wir laut Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO dieses Jahr vier Prozent Reduktion bräuchten, um unser Ziel zu erreichen, die Emissionen bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Es aber minus zwei Prozent geworden sind und auch nur aufgrund der Energiekrise. Und es nach 662 Tagen immer noch kein Klimaschutzgesetz gibt.  

Ihre Katharina Kropshofer


In eigener Sache

Auch die Medien spielen eine Rolle in der Bekämpfung der Klimakrise - manchmal eine zu kleine. Heute Abend diskutieren Journalist:innen und Wissenschaftler:innen den Klimakodex, eine Art Leitlinie für eine angemessene, klare und konstruktive Klimaberichterstattung. Damit soll das Bewusstsein rund um die Klimakrise in Medien und Gesellschaft gestärkt werden. Schnell zuschalten oder nachsehen kann man das Ganze hier.


Energiecharta

Schon öfters berichtete der FALTER über den Energiecharta-Vertrag. Kurze Zusammenfassung: 1994 unterzeichneten europäische und asiatische Staaten in Lissabon den Energiecharta-Vertrag, kurz ECT. Ein Abkommen zwischen 53 Staaten in Europa und Asien, mit der sie eine Zusammenarbeit bei der Energieversorgung sicherstellen wollten – und auch Zugang zu Investitionen in internationale Märkte mit entsprechendem Schutz für ausländische Investoren. 

Der Haken: Gibt es Streitigkeiten zwischen einem Vertragsstaat und einem Unternehmen, kann ein sogenanntes Investor-Staat-Schiedsverfahren einberufen werden. Eine dritte Instanz, die darüber entscheidet, ob ein Energieunternehmen aufgrund der Gesetzeslage im jeweiligen Land ungerecht behandelt wird. Ausführlicheres hier oder hier.

Die guten Nachrichten: Polen, Spanien und die Niederlande haben kürzlich erklärt, dass sie aus dem Vertrag aussteigen, nun überlegen Frankreich und Deutschland auch, und der Vertrag steht auf der Kippe. Am 22. November findet dann die entscheidende Konferenz statt - bei der sich wohl auch Österreich positionieren muss.


Aus dem Falter

Muss Sebastian Kurz ins Gefängnis? Sehr verständlich und kompakt erklärt das FALTER-Chefredakteur Florian Klenk. Wer auch nicht vor dem Longread scheut, kann den Krimi rund um Thomas Schmid, Sebastian Kurz und vielen weiteren Polit-Gesichtern hier nachlesen oder auf die nächste FALTER-Ausgabe warten.

Anzeige

Genug vom endlosen Schmökern in viel zu dicken Erziehungsratgebern? Der „Kind in Wien”-Newsletter informiert einmal in der Woche kurz, prägnant und kostenfrei alle, die in Wien mit Kindern im Alter von null bis zwölf Jahren zu tun haben.
Jetzt abonnieren unter: falter.at/kinder


Das FALTER-Abo bekommen Sie hier am schnellsten: falter.at/abo
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und er Ihnen gefällt, können Sie ihn hier abonnieren.
Weitere Ausgaben:
Alle FALTER.maily-Ausgaben finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,17 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!