Ein Tag mit Lehrerinnen und Lehrern - FALTER.maily #1052
Ich möchte Ihnen gerne ein bisschen über meinen gestrigen Tag erzählen. Ich besuchte in Salzburg eine Veranstaltung eines Vereins ...
Kennen Sie den Musiker Sujeet Desai, der acht verschiedene Instrumente auf höchstem Niveau beherrscht und bereits in der New Yorker Carnegie Hall auftrat? Oder Aya Iwamoto aus Japan, die einen Hochschulabschluss in englischer Literatur besitzt und als Übersetzerin arbeitet? Vielleicht haben Sie vom spanischen Lehrer Pablo Pineda gehört, der als erster Mensch mit einer kognitiven Behinderung ein Lehramtsstudium absolvierte und Schülerinnen und Schüler unterrichtet.
Alle drei haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben Trisomie 21, auch "Down-Syndrom" genannt. Sie kamen mit einem zusätzlichen Chromosom 21 zur Welt und haben deshalb eine kognitive Einschränkung. Aber vor allem hatten alle drei das Glück, nicht in Österreich geboren worden zu sein. Denn im Gegensatz zu vielen anderen westlichen Ländern fehlen im österreichischen Bildungssystem die strukturellen Voraussetzungen, damit Menschen mit kognitiver Behinderung ihre Potenziale entfalten können.
Stattdessen wirft das österreichische Bildungssystem diesen Kindern und Jugendlichen Prügel vor die Füße. Oder wussten Sie, dass Schülerinnen und Schüler, die einen sogenannten sonderpädagogischen Förderbedarf haben, nur über die Pflichtschulzeit hinaus eine Schule besuchen dürfen, wenn Schule und Bildungsdirektion dies erlauben? Fehlt das Personal, werden Jugendliche mit kognitiver Behinderung schon nach zehn Schuljahren nach Hause geschickt.
So wie Mario, über den ich im Juli berichtete. Mario hat frühkindlichen Autismus und besuchte ein sonderpädagogisches Zentrum. In der letzten Schulwoche erfuhren seine Eltern, dass es für ihren Sohn im Herbst keinen Schulplatz gibt. Seitdem sitzt Mario mit seiner Mutter den ganzen Tag zu Hause. Denn auch einen passenden Betreuungsplatz in einer Tagesstruktur gibt es für ihn bis jetzt nicht.
Stellen Sie sich vor, der Staat würde Eltern von Kindern ohne Behinderung sagen, ihr Nachwuchs könne mit 15 oder 16 Jahren nur dann weiter in die Schule gehen, wenn genügend Lehrerinnen und Lehrer da sind. Der Aufschrei wäre berechtigterweise riesengroß.
Eine Gruppe betroffener Eltern will sich diese Ungleichbehandlung nicht mehr gefallen lassen. Sie sammeln nun Unterschriften dafür, dass auch Schülerinnen und Schüler mit Behinderung einen Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr erhalten. Denn es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen mit höherer Reife viel besser lernen können – also genau dann, wenn das österreichische Schulsystem sie hinauswirft. Findet ihre Petition zumindest 500 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, muss sich das Parlament mit dem Thema befassen.
Dass Menschen mit einer kognitiven Behinderung an einer Universität studieren, ist in Österreich erst gar nicht vorgesehen. Für Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt es im österreichischen Bildungssystem keinen Oberstufenlehrplan.
Andere Länder sind längst viel weiter. In Spanien besuchen 85 Prozent der Kinder mit Trisomie 21 Regelschulen. Wer die Fähigkeit dazu hat, kann wie der Pädagoge Pineda sogar auf eine Universität gehen. Auch sonst ist Spanien bei der Inklusion weit vorne: 2013 wurde Ángela Bachiller, die auch Trisomie 21 hat, zur Stadträtin der 300.000-Einwohnerinnen- und Einwohnerstadt Valladolid gewählt.
In Italien konnte Silvia Barbarotto, die auch das Down Syndrom hat, mit Bestnoten maturieren. In Kanada bietet die University of Alberta mit dem Programm "On Campus" seit 1987 integrative Bildungsmöglichkeiten für Studierende mit Entwicklungsstörungen.
Österreich hat noch viel aufzuholen. Beispiele, wie man es besser machen könnte, gibt es genug.
Ihre Nina Horaczek
Wir beraten in akuten Problemlagen, vermitteln Wohnungen und bieten medizinische Versorgung. Wir setzen uns gegen die Stigmatisierung obdach- und wohnungsloser Menschen ein und arbeiten an innovativen Lösungen für Hilfe, die nachhaltig Leben verbessert und unsere Gesellschaft inklusiver macht. Jede*n kann es einmal auf die Schnauze hauen. Helfen wir beim Aufstehen. #neunerhaus
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Am Sonntag hören Sie eine künstlerische Protestaktion aus dem Wiener Volkstheater von und mit FALTER-Herausgeber Armin Thurnher, anlässlich der Ankündigung von ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher, weniger auf "Köchel" und mehr auf "Content" zu setzen.