Der Papst und die Kommunisten - FALTER.maily #945

Nina Horaczek
Versendet am 09.11.2022

Der Pfarrer und der Kommunist. Das kennen zumindest die Älteren unter uns aus Don Camillo und Peppone-Filmen. Gestern trafen einander Kirche und Marxismus im Europäischen Parlament.

Als Abgesandte des Heiligen Stuhls sprachen dort unter anderem Manuel Enrique Prieto, Generalsekretär der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft und Piero Coda, Generalsekretär der Internationalen Theologiekommission, der von Papst Franziskus 2021 zu einem von sieben Beratern der vatikanischen Glaubenskongregation ernannt wurde. Europas radikale Linksparteien wurden von Marisa Matias, Vizefraktionsvorsitzende der Linken im EU-Parlament, José Manuel Pureza, Vizepräsident des portugiesischen Parlaments, und dem früheren KPÖ-Vorsitzenden Walter Baier aus Österreich vertreten.

In einem gemeinsamen Positionspapier fanden Kirche und Linke klare Worte: "Wir wollen die Barbarei der Naturzerstörung, des Hungers, der Krankheit und des Krieges, des ständigen Baus neuer Mauern und Lager, des obszönen Luxus und der monströsen Konzentration von Eigentum, Macht und Reichtum beenden. Gemeinsam engagieren wir uns für eine Politik, die viele in Solidarität vereint", ist darin zu lesen. "So wie das Gebot 'Du sollst nicht töten' eine klare Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu schützen, müssen wir heute auch 'Du sollst nicht' zu einer Wirtschaft der Ausgrenzung und Ungleichheit sagen. Eine solche Wirtschaft ist tödlich. Wie kann es sein, dass es keine Nachricht ist, wenn ein älterer Obdachloser an den Folgen einer Erfrierung stirbt, aber es ist eine Nachricht, wenn der Aktienmarkt zwei Punkte verliert?"

Zwar gibt es in den Reihen des katholischen Klerus immer wieder durchaus Sympathien und Berührungspunkte mit linken Positionen. Doch das passierte weit weg von den Zentren der vatikanischen Macht, etwa unter den Befreiungstheologen Lateinamerikas, die nicht selten genau dafür von höchster Stelle gerügt wurden. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Heilige Stuhl und radikale Linke ihre lang gepflegten und tiefgehenden Differenzen höchst offiziell beiseiteschieben.

Sie wollen gemeinsam kämpfen für "eine Wirtschaft des Lebens; eine Gemeinschaft der Fürsorge; eine Politik der solidarischen Transformation; eine Welt, in der es Platz für viele Welten gibt; die Würde jedes Einzelnen in einer reichen Welt des Gemeinguts und für ein Miteinander des Friedens." Und sie bekräftigen ihren "gemeinsamen Widerstand". Dieser ziele auf "einen Bruch mit allen tödlichen Zuständen" und fordert stattdessen die Schaffung einer Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur freier und solidarischer Menschen. "Es ist der schwierige Weg des gewaltfreien Widerstands, der auch beharrlichen zivilen Ungehorsam einschließt", schreiben Kirchenvertreter und linke Politikerinnen und Politiker.

Wie fand der Papst zum Kommunismus? Im September 2014 lud Franziskus Alexis Tsipras, Chef der linken Partei Syriza in Griechenland, gemeinsam mit Baier, damals Koordinator von Transform, dem Thinktank der Europäischen Linken, zu einer Privataudienz in den Vatikan. Aus diesem Gespräch entwickelte sich ein jahrelanger Dialog zwischen der katholischen Welt und europäischen Linken über ökologische Krise und soziale Ungerechtigkeit in der Welt.

Kirche und Linke, wie passt den das zusammen? "Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass es sich um zwei Welten handelt, die in den letzten zweihundert Jahren auf der öffentlichen Bühne weitgehend verfeindet waren und die in bestimmten Fragen immer noch recht weit voneinander entfernt sind", räumen die Verfasser des Positionspapiers ein. "Aber da das Überleben der Menschheit und die Zukunft der Erde auf dem Spiel stehen, ist ein echter Dialog und gemeinsames Handeln mit allen Menschen guten Willens heute dringender denn je."

Als Beweis dafür, dass Kirche und radikale Linke doch gut zusammenpassen, zitieren sie eine Jesus-Schilderung aus dem Lukasevangelium: "Er hat die Mächtigen von ihren Thronen gestürzt und die Demütigen erhöht. Die Hungrigen hat er mit Gütern gesättigt, die Reichen aber hat er leer ausgehen lassen" (Lk 1,52-53).

Ihre Nina Horaczek


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