Nehmt die Kritik ernst

Florian Klenk
Versendet am 22.11.2022

Vor 22 Jahren, als Wolfgang Schüssels ÖVP mit dem Rechtspopulisten Jörg Haider koalierte, rannten die Leute zum Parlament, nahmen die Schlüssel aus der Hosentasche und schrien „alle Schlüssel gegen Schüssel“. Dann setzte sich ein gigantischer Strom an Menschen in Bewegung und spazierte von der Wiener Innenstadt rauf zum Küniglberg. Die Passanten winkten aus den Fenstern, schlugen auf Töpfe, hupten und am Heldenplatz besetzten Aktivisten den Rasen vor der Hofburg und schufen die „Botschaft der besorgten Bürger“. Zur Angelobung marschierte Blau-Schwarz unterirdisch.

Es gab derweil Lesungen am Heldenplatz und einmal wurde einfach das Burgtheater besetzt. Die Linken organisierten eine Demo, die den Ring mit Hunderttausenden füllte. Biedere Beamte holten rohe Eier aus der Aktentasche und warfen sie ans Bundeskanzleramt.

So lief der linke Protest gegen die autoritäre „Wende“. Jeden Abend zog die Donnerstags-Demo durch die Stadt. Und überall entstanden Initiativen, es formierte sich auch international die Zivilgesellschaft.

Warum ich das erzähle? Weil ich erstaunt bin, wie phantasielos dieser Tage auch in Wien von einem Grüppchen namens „Die Letzte Generation“ gegen die Untätigkeit der Politik in Sachen Klimaschutz protestiert wird. Und wie wenig anschlussfähig ihr Protest in weiten Teilen der Bevölkerung ist, obwohl die Klimawende weit wichtiger ist als die politische Wende einst.

Jede Generation soll protestieren wie sie will. Aber Kunst, wenn auch nur symbolisch, zu zerstören oder Menschen willkürlich, wenn auch nur für eine halbe Stunde, in ihren Autos festzusetzen, bis sie ausflippen: diese Symbolik ist fatal. Sie richtet sich gegen die Freiheit des Einzelnen, gegen Kunst, gegen den freien Geist. Und gegen Museen, die immer noch offene Orte sind und nun aufrüsten müssen und ihre Kunst wegsperren werden, wie der Chef des Leopold-Museums hier zurecht beklagt.

Der Protest tritt zudem nach unten, statt nach oben. In Linz brüllten Bauarbeiter die angeklebten Klimabobos kürzlich nieder und schreien: „I muaß hackeln fahren, verstehst Du des ned?“. Nein, so wird man etwa die Sozialdemokratie, immer noch eine wichtige Kraft in Wien, nicht als Verbündete gewinnen.

Wem nützt es? Niemandem. Der Klebe-Protest entzweit die Protestmasse und hat etwas klebrig Selbstgerechtes: Es geht den Aktivisten ja auch ein bisschen darum, sich auf Social Media moralisch gegenüber jenen Kleinbürgern zu erhöhen, denen die Rettung eines Klimtbilds oder die Verhinderung eines Staus angeblich wichtiger sei als die Rettung der Welt. Seht her, lautet die Botschaft, wir sind die Besseren, wir denken im größeren Rahmen - und daher bestrafen wir euch mit einem Stau. Und wir sind verzweifelte Opfer, also unangreifbar. Und wir schaffen es damit sogar in die Medien.

Aber wie geht das in einer Erregungsgesellschaft weiter? Mit dem Ziel, die Welt zu retten, stellt man sich selbst den Blanko-Scheck aus, Unbeteiligte in Geiselhaft zu nehmen. Anders als bei angekündigten Blockaden (etwa am Brenner) können die Leute nicht ausweichen, sondern sind gefangen, egal ob sie zur Arbeit oder zur Chemo müssen oder das Kind vor dem Hort wartet.

Nein, man soll nicht hart strafen, wie es die ÖVP fordert (in diesem Podcast etwa), das wäre reaktionär. Ein Rechtsstaat bleibt entspannt und neugierig, vor allem gegenüber seinen radikalen Rändern. Und nein, es sind weder Terroristen noch Attentäter am Werk, sondern junge Leute, die man aushalten muss und denen man zuhören kann und soll. Aber man darf ihnen widersprechen und sie sollten die breite Kritik an ihren Methoden ernst nehmen.

Denn wer die Zwangslage und das Schicksal des Einzelnen unter das anzustrebende Ideal stellt, handelt zynisch. Die Aktivisten erklären ihren Kritikern, dass individuelles Leid leider auch mal vorkommen könne, um die Welt zu retten. „Shit happens“, twitterte einer, als in Berlin Rettungskräfte behindert wurden, ein Unfallopfer zu retten. Das stinkt nach Menschenverachtung .

Dass die Fridays for Future dieser sich selbst radikalisierenden Sektierertruppe nicht energischer entgegentreten, sondern ein bisschen froh sind über die generierte Aufmerksamkeit, ist kurzfristiges Denken in diesem politischen Kampf. Und ein Verrat an der gewaltigen internationalen Aufbauarbeit der zurecht zornigen Greta Thunberg. Die hatte das Thema wirklich auf die internationale Agenda gesetzt. Mit Beharrlichkeit, Mut, Grips und Zivilcourage. Und nicht mit Blockaden anderer.

In diesem Sinn kann man den Besetzern der Uni-Hörsäle nur danken. Die "Erde brennt!"-Bewegung, verlagerte letzte Woche den Protest endlich dorthin, wo er hingehört: in die offenen Arenen und Foren einer liberalen Gesellschaft, hin zur Wissenschaft und der nächsten Generation der Entscheidungsträger. Das richtet keinen Schaden bei Unbeteiligten an, sondern weitet den Blick aller. Ganz ohne Superkleber.

Ihr Florian Klenk

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