Wie der Fehler den Menschen zum Menschen macht - FALTER.maily #1053
Am 28. Februar 2023 veröffentlichte das britische Verteidigungsministerium ein bemerkenswertes Dokument. Es soll als Grundlage zukünftiger ...
Heute möchte ich Ihnen einen neuen Roman ans Herz legen, der die Spannung eines Krimis und die Genauigkeit einer soziologischen Studie besitzt. Bret Easton Ellis' "The Shards" führt ins Los Angeles der 1980er-Jahre und handelt von einem jungen Mann aus wohlstandsverwahrlostem Hause, der sein letztes Schuljahr in einem Ausnahmezustand verbringt. Zugedröhnt von Drogen registriert er in seiner Umgebung die Spuren von Gewaltverbrechen. Ein Serial Killer schlachtet Haustiere und deren jugendliche Besitzer ab, was den Protagonisten in eine begründete Paranoia treibt: Er könnte das nächste Opfer sein.
Bret Easton Ellis gehört zu den Stars der 80er-Jahre-US-Literatur. Noch als Teenager veröffentlichte er seinen ersten Roman, es folgte ein Jahrzehnt der Exzesse, Partys und unverschämt hohen Verlagsvorschüssen. Mit "American Psycho" löste er 1991 einen ungeheuren Skandal aus. Der Roman handelt von einem Yuppie in Manhattan, der Bordeaux-Weine aus Riedel-Gläsern schlürft und Mordopfer tranchiert.
Der Autor brach ein Tabu, indem er Shoppen, Sex und Morden mit derselben Gleichgültigkeit beschreibt. Mit gnadenloser Kälte schildert er das New York der Reagan-Ära, als die Wall-Street-Wölfe die von Empathie und Wir-Gefühl getragenen Ideale der Hippie-Ära verschlangen. Der Skandal besteht darin, dass die präzisen Schilderungen nicht aus dem Mund eines kritischen Beobachters kommen, sondern die Sichtweise einer narzisstischen Bestie darstellen. Als "American Psycho" schließlich herauskam und zum Bestseller wurde, gab es in Amerika nur eine einzige positive Rezension.
Mit "The Shards" (die Scherben) kehrt Ellis zu seinen Anfängen im Los Angeles der 80er-Jahre zurück. Aus der Ich-Perspektive geschrieben und mit einem Helden namens Bret Ellis schwimmt er zwar auf der Welle autofiktionaler Literatur, aber bereits nach wenigen Seiten wird klar: Identifikation ist mit diesem 17-Jährigen nicht möglich. Bret verarscht seine Kumpels und betrügt seine Freundin mit deren Vater. Der Protagonist verkörpert den Albtraum der Post-Woodstock-Ära: Konsumrausch, Zynismus und Konkurrenzdenken.
Nach mehreren vertrödelten Jahrzehnten interveniert der heute 58-jährige Schriftsteller mit seinem Roman auch in einer Generationendebatte, die er bereits in dem autobiografischen Sachbuch "Weiß" zum Thema machte. Ellis bringt das Weltbild seiner Generation X einerseits gegenüber den idealistischen Hippie-Boomern in Stellung, andererseits auch gegenüber den dünnhäutigen "Schneeflocken", wie er die folgende Generation woker Jugendlicher nennt. "The Shards" ist auch ein Coming-of-Age-Roman über einen schwulen Teenager. Ellis zeichnet sein Alter Ego allerdings nicht als sensibles Opfer, sondern als egomanisches Arschloch, eine vereiste Introspektion, die Identifikation verhindert – und auch verhindern soll.
Mit dieser Hymne auf die "Verstumpfung" (so Brets Lieblingsbegriff) führt Bret Easton Ellis in eine Zeit zurück, als in den Kinos von Los Angeles ohne Triggeralarm Horrorfilme neben Stanley-Kubrick-Kunst liefen. Und als Literatur und Popmusik dem schockierenden, aufwühlenden Anderen gegenüber dem moralisch gebürsteten Spiegelbild den Vorzug gaben. Als Künstlerinnen und Künstler nicht um die Gunst des Publikums buhlten, sondern Gleichgültigkeit und Ablehnung in Kauf nahmen.
"Meine Generation wollte beleidigt werden", sagt Ellis in einem Interview. An seinem viel jüngeren Lebensgefährten beobachtet er eine Eigenschaft, die ihm fremd war, Schamgefühl: "Mir war es total egal, was meine Eltern über meine Bücher dachten."
"American Psycho" löste eine Welle der Empörung aus, was "The Shards" nicht gelingen wird. Das liegt nicht am Buch selbst, sondern am geänderten Leseverhalten. "Ich glaube nicht, dass Romane den Millennials noch so viel bedeuten, wie es für die Generation X der Fall war", sagt Ellis. Fast könnte man meinen, der Meister der Minusgrade sei auf der Schwelle zum Boomeralter etwas sentimental geworden.
Ihr Matthias Dusini
Bret Easton Ellis literarisches Vorbild ist die Journalistin und Essayist Joan Didion (1934–2021), die sich in ihren Werken auch ausführlich mit Verschwörungstheoretikern und Soziopathen in Los Angeles, der "Hauptstadt der Paranoia", beschäftigte. Im Ullstein Verlag erschienen Didions Bücher in neuer Übersetzung, darunter das berühmte "Weiße Album", in dem sie den amerikanischen Traum am Beispiel von Shopping Malls, den Black Panther und Charles Manson analysiert.
Ein traumatisches Erlebnis der Generation von Bret Easton Ellis waren die Tate-LaBianca-Morde in Hollywood. Eine Kommune rund um Charles Manson brachte 1969 mehrere Menschen um, darunter die Schauspielerin Sharon Tate. Die Verbrechen markieren das Ende der Flower-Power-Ära, als Kalifornien zum Zentrum eines friedlichen, alternativen Lebens wurde. Der Regisseur Quentin Tarantino, ein Jahr jünger als Ellis, schildert in "Once Upon a Time in Hollywood" die Atmosphäre des Jahres 1969, die Berührung von Paradies und Hölle.
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