Hass und Haarschnitt - FALTER.maily #1010

Josef Redl
Versendet am 07.02.2023

Ich hatte schon ein schlechtes Gefühl, als ich neulich den Friseurladen bei mir ums Eck betreten habe. Das ist für mich ungewöhnlich, ich baue eigentlich keine Beziehung zu Friseuren auf. Nicht aus Standesdünkel. Ich gehe einfach immer zu irgendeinem, der gerade frei ist. Das ist selten zweimal der Gleiche. Irgendwann schaue ich in der Früh in den Spiegel und sehe, dass es Zeit ist. Der nächste Friseur, der Zeit hat, ist der richtige. Ich glaube, ich habe das, was man "dankbares Haar" nennt. Man kann da nicht viel falsch machen.

Bei dem Friseur bei mir ums Eck war ich jetzt schon ein paar Mal. Vielleicht ist das aber eh ein schlechtes Zeichen: dass er oft genug spontan Zeit für mich hat. Der Chef ist ein temperamentvoller Südländer, sein Mitarbeiter ist eher der ruhige Typ. Er war der Grund, warum ich mir ein bisschen Sorgen gemacht habe. Er will sich nämlich unterhalten. Und ich glaube, er ist sehr empfänglich für Verschwörungstheorien. Er bekommt so einen geheimnisvollen Tonfall und fragt Sachen wie "Sag, weißt du eigentlich, wer die Financiers hinter dem Weltwirtschaftsforum in Davos sind?"

Ich sag ihm, er soll die Finger vom Internet lassen, aber er lässt nicht locker. Das letzte Mal hat sich der Ladenbesitzer eingemischt. Und da war es dann ganz aus. Er hasst die Amerikaner. Logischerweise sympathisiert er deshalb mit den Russen, die von ihm aus gerne die Ukrainer massakrieren können. Er ist recht laut geworden und hat noch ein paar andere Nationen verwünscht. Der Typ, dem er dabei die Haare mit dem Messer geschnitten hat, ist zunehmend nervös geworden.

Irgendwo am Hindukusch habe ich dem Friseur eine Pattstellung abgerungen, weil vor den Amerikanern auch die Russen Afghanistan bombardiert haben. Während er gedanklich seinen Gegenangriff vorbereitet hat, habe ich schnell bezahlt und bin gegangen, um nie wiederzukommen.

Das ist jetzt ein paar Tage her. Und ich bin inzwischen etwas unschlüssig, ob ich nicht doch wieder hingehen soll. Ich halte fast alles, was er von sich gegeben hat, für Irrsinn, manches für puren Rassismus. Aber vielleicht ist das genau der Grund, warum ich mit ihm weiterstreiten sollte. Was meinen Sie?

Ihr Josef Redl


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