Nehammer und der Journalismus - FALTER.maily #1016

Florian Klenk
Versendet am 14.02.2023

Die ÖVP und der Journalismus. Hier sind sieben Vorfälle aus den letzten Wochen, die mir zu denken geben.

Erstens: Die Verfassungsministerin Karoline Edtstadler formuliert in einem dreizehnteiligen Twitter-Thread unter dem Motto "#Sagenwasist", dass wir Journalisten durch "mediale Vorverurteilungen, Zuspitzungen & oft haltlose Beschuldigungen Personen in das berufliche Aus manchmal gar in den Ruin treiben". Gemeint war damit die Doktorarbeit von Arbeitsministerin Christine Aschbacher. Darin steht: "Ich werde rollen und tun es." Oder: "Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes; sie verlangsamen uns." Edtstadler kritisierte nicht, dass ihre Ministerkollegin mit so einem Unsinn einen Titel erlangen konnte, sondern dass wir diesen eklatanten Fall von wissenschaftlichem Betrug buchstäblich aufgeblattelt haben.

Zweitens: Der wegen Untreue in der Inseratenaffäre unter dringendem Tatverdacht stehende Medienbeauftragte der Regierung Kurz, Gerald Fleischmann, berichtet in seinem soeben erschienen Buch "Message Control" stolz, dass er uns Journalisten mit strategisch platziertem Unsinn ablenkte. Er vergleicht uns mit "Wolfsrudeln" und einem gackernden Hühnerstall. Ein gerne platzierter strategischer Unsinn waren jene Beinschab-Meinungsumfragen, die wir mit Steuergeld bezahlten, die aber nur der ÖVP dienten und die dann auch noch mit Inseratengeld in Österreich verbreitet wurden. Weil es hier schon Geständnisse und Kronzeugen gibt (Sabine Beinschab und Thomas Schmid), versuchte die WKStA an die E-Mail-Postfächer jener Abteilung im Kanzleramt zu kommen, die Gerald Fleischmann leitete (er selbst hatte seine Kommunikation gelöscht). Kanzler Karl Nehammer gibt die Datensätze aber nicht raus und verzögert damit die Ermittlungen der WKStA. Sein Argument: "Datenschutz der Mitarbeiter".

Drittens: Eine ehemalige Stellvertreterin von Thomas Schmid, Eva Hieblinger-Schütz (ihr Mann Alexander Schütz ist ein vermögender Geschäftspartner und Finanzier von Sebastian Kurz und verachtet kritische Journalisten) gründete vor einiger Zeit ein Fake-News-Portal. Sie verbreitet nicht nur beharrlich Kreml-Propaganda, sondern auch ÖVP-Spin und Angriffe auf Korruptionsbehörden und integre Journalisten oder grüne Ministerinnen. Die Plattform bekommt von der schwarz-grünen Bundesregierung rund eine Million Steuergeld. ÖVP-Minister sind die einzigen Regierungspolitiker, die dort noch regelmäßig hingehen. Ein aufgekratzter Interviewer kratzt ihnen dort das Goderl, anstatt kritisch zu fragen.

Viertens: Der renommierte Filmemacher Kurt Langbein plant einen Film über Sebastian Kurz. Im Rahmen des Film-Fernseh-Abkommens unterstützt auch der ORF die Produktion. ÖVP-Chef Karl Nehammer lässt über seinen Parteipressedienst folgende Mitteilung verbreiten: "Der ORF (...) unterstützt linke Parteipropaganda. Nach allem, was man bisher weiß, wird das bloß eine links-linke Verleumdung gegenüber des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. (...) Man muss hier ganz klar noch mal in Erinnerung rufen: Es ist unser aller hart verdientes Geld, dass hier für mediale Denunzierung rausgeschmissen wird." In einem Aufwasch wird auch die Verfilmung meines Buches "Bauer und Bobo" durch Langbein skandalisiert. Der ÖVP-Sprecher: "Das ist allerdings nicht die erste zu hinterfragende Finanzierung. Der ORF hat vor zwei Jahren den Film von 'Falter'-Chefredakteur Florian Klenk 'Bauer und Bobo' finanziert. Wieso, weiß bis heute niemand. Es braucht völlige Transparenz, klare Kriterien und die Offenlegung der Finanzierung derartiger Projekte." Wieso der ORF Dokumentarfilme fördert, könnte Nehammers Partei natürlich leicht in Erfahrung bringen. Es steht im Gesetz.

Fünftens: Als ein Fall mutmaßlicher Kurz-Freunderlwirtschaft im Außenamt thematisiert wird, twittert Daniel Kosak, der Sprecher des österreichischen Bundeskanzlers, mit dem Zaunpfahl: "Interessant, wie die Bestellung eines hoch qualifizierten Kollegen es zur Topmeldung auf orf.at schafft. Und zugleich die heutige Diskussion über die künftige Finanzierung des ORF nicht einmal eine Erwähnung wert ist." Ein Kanzler-Sprecher gibt dem ORF öffentliche Empfehlungen ab. Kann man machen. Kann man aber auch als sanfte Drohung verstehen, bei sich selbst aufzuräumen, anstatt die ÖVP zu kritisieren.

Sechstens: Als Bundeskanzler Karl Nehammer kürzlich von ZIB 2-Anchor Martin Thür interviewt wird, antwortet er auf eine kritische Frage so: "Auf jeden Fall sieht so die Interpretation eines ORF-Reporters aus, aber ob das der Wirklichkeit entspricht, müssen die Bürgerinnen und Bürger entscheiden." Als Thür nach dauernden Attacken fragt: "Ich verstehe nicht, wieso Sie mich die ganze Zeit attackieren, ich versuche ja nur, Fragen zu stellen!" verspottet ihn Nehammer: "Bitte nicht sensibel sein."

Siebtens: Die Compliance-Vorschriften des ORF sehen vor, dass sich ORF-Mitarbeiter parteipolitisch nicht engagieren sollen. Schon gar nicht bei Wahlkämpfen. Vera Russwurm, die im ORF eine prominente Talk-Show hat, moderiert dennoch eine ÖVP-Veranstaltung für die ÖVP-NÖ. Die Partei stand damals unter Kritik, weil sie dem ORF-Landesdirektor Robert Ziegler ständig mitteilte, wie im ORF über die Landeshauptfrau zu berichten sei. Ziegler setzte die Wünsche schamlos um - und musste nun gehen.

So sieht er aus, der Respekt der ÖVP vor der Pressefreiheit. Als ich Kanzler Nehammer heute bei einem Hintergrundgespräch mit Chefredakteur:innen im Kanzleramt fragte, wieso die ÖVP so mit der Presse umgeht, nannte er mich vor allen Kollegen einen "gnadenlosen Populisten". Es war lustig gemeint. Ich habe höflichkeitshalber auch mitgelacht.

Ihr Florian Klenk


Fleischmann will Transparenz

... das klingt so ähnlich wie: Metzger fordern Fleischverzicht. Barbara Tóth hat sich mit dem ehemaligen Spin-Doktor von Sebastian Kurz getroffen und mit ihm darüber gesprochen, warum er nicht über sein Strafverfahren spricht. Das lesenswerte Interview finden Sie hier.


Wir und Wladimir

Für das dieswöchige FALTER-Cover hat unser Illustrator PM. Hoffmann das Raiffeisen-Logo modifiziert. Statt zwei Pferdeköpfen sehen Sie Putins Schädel. Warum? Weil die Raiffeisen eine der wenigen westlichen Banken ist, die in Russland noch fette Gewinne einfährt. Auch ehemalige Wirtschaftskammer-Chefs verdienen gut in Putins reich. Warum das so ist, haben Eva Konzett und Josef Redl hier zusammengefasst.


Pamela Rendi-Wagner

Wir hätten – so wie in der Vorwoche – auch diese Woche gerne ein Interview mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner geführt. Wir wollten wissen, wie sie die Energiekrise, die Mietenexplosion, die postpandemische Gesellschaft und den Krieg in der Ukraine sieht, sie ist ja aussenpolitische Sprecherin. Pamela Rendi-Wagners Pressesprecherin antwortete erst zwei Wochen nicht. Nun sehen wir, dass "Pam" nur mit der Kronen Zeitung spricht. Armin Thurnher hat das hier kommentiert. Lukas Matzinger macht derweil Vorschläge, wie ein modernes Mietrecht aussehen könnte. Nina Horaczek hat sich eine Initiative gegen Kinderarmut angesehen.


Hilfe für die Türkei & Syrien

Die österreichische Bundesregierung will keine Opfer aus den Erdbebengebieten aufnehmen. Nicht einmal temporär. Derweil organisiert – von heimischen Medien fast unbeobachtet – die türkische Community einen Hilfskonvoi nach dem anderen. Unsere Reporterinnen Daniela Krenn und Magdalena Riedl haben sich angesehen, wie in Inzersdorf Lastwägen befüllt werden. Riedl war besonders fleissig. Sie hat die wahren Klimaaktivisten besucht, Berufsschüler, die sich zu Installateuren ausbilden lassen und in den nächsten Jahren die Energiewende bewältigen sollen.


FALTER:WOCHE

Burgtheater und Josefstadt? Ja, eh. Die Wiener Bühnen bieten aber noch ungleich mehr, vom Kinder-Figurentheater bis zur Off-Bühne. Welche Premieren der kommenden Wochen Sie unbedingt beachten sollten, erfahren Sie im kundigen Überblick von Sara Schausberger und Martin Pesl. Miriam Damev stellt die Dirigentin, Lautenistin und Barockmusik-Expertin Christina Pluhar vor, und die Fotostrecke "Leuchtkasten" bringt Auszüge der tollen Porträt-Foto-Ausstellung von Juergen Teller in der Christine König Galerie. 


Ihre Fragen, unsere Antworten

Wir stecken schon mitten in den Vorbereitungen der zweiten Staffel von "Klenk+Reiter", dem FALTER-Podcast aus der Gerichtsmedizin. Um Ihnen – und uns – die Wartezeit zu verkürzen, haben wir Sie gebeten, uns Fragen rund um das Thema Gerichtsmedizin schicken. Die erste "Q&A"- Folge (Question and Answer) finden Sie hier. Es geht darum, ob man an Wasserleichen noch DNA-Spuren potentieller Täter finden kann, ob Thomas Klestil obduziert wurde und die Frage, wovor selbst einem Gerichtsmediziner graust.

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