Corona: Versöhnen oder aufarbeiten? - FALTER.maily #1018

Barbara Tóth
Versendet am 16.02.2023

Wollen Sie noch über Corona reden oder lesen, oder haben Sie schon genug? Sind sie schon versöhnt oder noch wütend? So oder so, lesen Sie schnell weiter!

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) haben am Mittwoch eine "Corona-Versöhnungskommission" angekündigt, die um Ostern herum einen "Dialogprozess" in Gang setzen soll. Wie und mit wem genau, sagten sie nicht, aber die "Tonalität" war jedenfalls verständnistriefend. Baba Karl, der mit der Flex die Corona-Maßnahmen durchsetzt. Servus Karl, der Versöhnliche.

Dass Österreichs Regierung – so wie andere Staaten auch – nun auch einen selbstkritischen Blick zurück auf die Pandemiezeit werfen will, ist prinzipiell lobenswert. Eine umfassende Aufarbeitung steht noch aus, der Angriffskrieg Wladimir Putins hat vieles überlagert.

Waren die umstrittenen Schulschließungen wirklich nötig? War die gesetzliche Impfpflicht ein Fehler? Hätte man Pflege- und Altersheime besser schützen können? Was haben die Lockdowns am Ende wirklich gebracht? Wer hat am Masken-, Test- und letztlich auch Impfmarathon verdient? Welche Unternehmen wurden überfördert? Wo hat die Politik versagt? Und vor allem: Was braucht es jetzt, um die Langzeitfolgen der Pandemie, vor allem bei Kindern und Jugendlichen und Long Covid-Patient:innen, zu kurieren?

Die Antworten darauf werden wehtun, weil tatsächlich viele Fehler passiert sind. Viele davon nicht aus Absicht, sondern aus der Unwissenheit des Moments heraus. Es gab zu wenig Erfahrungswerte im Frühjahr 2020. Aber spätestens ab dem Herbst 2020 greift die politische Verantwortung.

Sich auf den "falschen" Rat der Expert:innen auszureden, wie Kanzler Nehammer es bei der Präsentation der "Versöhnungskommission" versucht hat, ist billig. Vielmehr war es so, dass sich der damalige Kanzler, Sebastian Kurz, nur mit jenen Expert:innen umgab, die ihm nicht widersprochen haben.

Die FPÖ ist derzeit die einzige Partei, die das Missmanagement und die Scheinheiligkeit offen thematisiert –und für ihre Zwecke kampagnisiert. Ein schwarz-grünes "Mea Culpa" alleine wird nicht reichen, um sich mit dem Volk wieder zu "versöhnen". Es wird auch Konsequenzen geben müssen. Überförderungen müssen zurückgezahlt, politische Fehlentscheidungen dokumentiert und das Netzwerk der Corona-Wirtschafts-Profiteure offen gelegt werden.

Neuseeland hat die Aufarbeitung in die Hände von drei Personen - "Royal Commission" genannt - gelegt: Einem Wissenschaftler und zwei Ex-Ministern. In Österreich gibt es nach wie vor die Idee, einen Corona-Untersuchungsausschuss zu gründen.

Das wäre wichtig. Denn die vom Kanzleramt eingesetzte Versöhnungskommission kommt zu früh. Wer sich versöhnen will, muss sich vorher schonungslos aussprechen. Und dafür braucht es ein anderes Format als jenes, das Nehammer und Rauch gerade angekündigt haben.

Ihre Barbara Tóth


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