Eine Frage der Moral - FALTER.maily #1051
Anstand und Moral haben sich in der Debattenkultur einen fragwürdigen Ruf erworben. Wenn Argumente fehlen, kann man sich immer noch auf die ...
Es war vergangenen Frühsommer, ich stand in der Engerthstraße 267 in der Wiener Leopoldstadt, auf der Rückseite der "Sport & Fun"-Halle, einem großen Kasten aus Blech, in dem damals das Ankunftszentrum für ukrainische Flüchtlinge angesiedelt war.
Die NGO "Train of Hope" war es, die hier über Monate mit Ehrenamtlichen die Erstversorgung der Ankommenden schulterte. Deren Mitarbeiterinnen waren es auch, die Kateryna Bozhko zurate gezogen hatten. Und zwar wegen der Frau, die vor einem der Container saß, in denen die Sachspenden von Windel über Wattestäbchen bis Hundefutter gelagert wurden, auf einem Klappstuhl, ihren Blick hielt sie starr gesenkt.
Sie war aus der Ostukraine geflüchtet, Überlebende von Vergewaltigung. Kateryna Bozhko sollte nun so etwas wie Akutbetreuung leisten. Sie selbst war ebenfalls aus der Ukraine geflüchtet, eine Psychologin, die schon seit 2015 mit Binnenvertriebenen aus der Ostukraine gearbeitet und viel Erfahrung hatte.
Wir tauschten Nummern aus, telefonieren auch Wochen später noch länger. Ihre Hoffnung war damals, bald regulär in Österreich als Psychologin arbeiten und somit ihren Landsleuten dabei helfen zu können, mit ihren Kriegserfahrungen leben zu lernen. Sie war damals noch der Ansicht, in Österreich wüsste man ihre Expertise zu schätzen.
Und dann, Monate später, vor zwei Wochen, sitzen sie und ich morgens beim Caffè Latte im McDonalds am Maidan in Kiew. Kateryna Bozhko ist zurückgegangen. Aus dem sicheren Österreich ins Kriegsland Ukraine. Sie sagt: "Ich lebe lieber mit dem Luftalarm in meiner Heimat, als in Österreich als Mensch zweiter Klasse."
Die ukrainischen Flüchtlinge bekommen oftmals nicht einmal genug Unterstützung, um ihre materiellen Grundbedürfnisse wie Wohnen, Essen und Hygiene zu decken – geschweige denn bei der Verarbeitung ihrer Kriegserfahrungen.
An ihrer Arbeit sei niemand interessiert gewesen, erzählt Bozhko, zumindest nicht in einem professionellen Rahmen. Einmal wurde sie von einer großen Hilfsorganisation gefragt, ob sie Interesse hätte an einer Arbeit als Therapeutin – aber als Ehrenamtliche und ohne Supervision.
Kateryna Bozhko lebt wieder bei ihrem Mann in Kiew. Er ist hauptberuflich Musiker in der Militärkapelle und spielt seit Monaten vor allem auf Begräbnissen Gefallener. Sie betreut Klientinnen und Klienten online. Es kommen ständig Nachrichten via Whatsapp und Telegram aus ganz Europa, von Menschen, die Hilfe brauchen. Schlafstörungen, Ängste, Panikattacken.
Es sei erst der Anfang, sagt Bozhko. Bereits jetzt leiden viele Soldaten an Posttraumatischen Belastungsstörungen. Und obwohl sich Olena Zelenska, die Frau des ukrainischen Präsidenten, des Themas angenommen hat, wird nicht einmal für die Kämpfer die Therapie staatlich finanziert, dafür kommen Spender auf.
Neben posttraumatischen Belastungsstörungen, so Kateryna Bozhko, droht den Ukrainerinnen und Ukrainer eine Epidemie an Depression, auch weit abseits der Front und nicht nur in der Ukraine.
Ihre Nina Brnada
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