Tatort Wien - FALTER.maily #1025

Gerhard Stöger
Versendet am 24.02.2023

Wie halten Sie es an durchschnittlichen Sonntagabenden? "Tatort" schauen: ja, nein, vielleicht? Ich konnte die montägliche Fachsimpelei in Teilen der FALTER-Kulturredaktion ewig nicht nachvollziehen, und auch meine Frau habe ich dafür belächelt, dass sie sich regelmäßig diesem TV-Biedermeier hingab. Just aber, als selbst der größte "Tatort"-Experte Klaus Nüchtern als Fan zu schwächeln begann, fand ich Gefallen am Sonntagabendfernsehkrimioldtimer.

Ich mag den Berliner Schmerz, die Dortmunder Kaputtheit, die Züricher Unterkühltheit, die Dresdener Schnorrdigkeit, die Schwarzwälder Beschaulichkeit, das Überraschungsei Saarbrücken, die Hamburg-Umgebung-Mischung aus Heißblütigkeit und Intelligenz, die Kölner Kriminaltechnikerin, die Münchener Pensionsrauszögerer, die Kieler Denkerstirn, Lindholms streitbare junge Partnerin in Göttingen, die auch nicht immer heile Provinzwelt in Franken und am allerliebsten das junge Team aus Bremen um die Working-Class-Kommissarin Liv Moormann, verkörpert von der großartigen Jasna Fritzi Bauer.

Weniger mag ich hingegen das Quotenmessungen zufolge äußerst beliebte Wiener Team, trotz der sympathisch zerzausten Bibi Fellner. Noch öder als die Mischung aus Drehbucharmut und dieser originären Grundschnarchnasigkeit sind eigentlich nur schwache Odenthal-Folgen und der stets nervtötend klamaukige "Tatort" Münster (das einzige Team, das ich seit meiner spät entdeckten Freude an der Serie bewusst zu boykottieren lernte).

Am Sonntag ermittelt Wien wieder – und ich bin ausnahmsweise voll gespannter Vorfreude dabei. Die Band Kreisky hat nämlich das zugleich unheilvolle wie sakral anmutende Titelstück und den Instrumental-Soundtrack zur Folge "Was ist das für eine Welt" beigesteuert. Zwei ältere Lieder dieser grobschlächtigen Feingeister werden ebenfalls vorkommen. Wer vorab hineinhören möchte: Beim Wiener Label Wohnzimmer Records ist "Was ist das für eine Welt" heute in digitaler Form erschienen.

Die Musik wird den sonntäglichen "Tatort" also jedenfalls schmücken. Dazu kommt ein weiterer Grund, dieser Episode erwartungsvoll entgegen zu blicken: Der letzte wirklich erinnerungswürdige Wien-Beitrag "Her mit der Marie!" aus dem Jahr 2018 erzählte eine rührende, aber, weil "Tatort", bitter endende schwule Liebesgeschichte im hiesigen Kleinganovenmilieu. Der STS-Hadern "Irgendwann bleib i dann dort" wurde derart genial eingesetzt, dass das Lied mit einem Mal all seine schwermütige Schönheit jenseits des Austropop-Ohrwurms offenbarte.

Damit aber nicht Musikbezug genug, hatte, wie nun Kreisky, auch damals ein Vertreter der jüngeren österreichischen Popgeneration die Finger im Spiel: Voodoo Jürgens wirkte in diesem "Tatort" mit – und zwar als Voodoo Jürgens himself, der beim Sommerfest des Oberzuhälters den Liveact gibt, auch tatsächlich live spielt – und zwar just sein allerschönstes Lied, "In deiner Nähe". Wird "Was ist das für eine Welt" nur halb so gut wie "Her mit der Marie!", wird das am Sonntag immer noch ein lässiger Fernsehabend.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende, ob mit oder ohne "Tatort".

Ihr Gerhard Stöger


Zum Hören

Ein Traum in Groove und Psychedelik: Den tollsten "Tatort"-Song überhaupt lieferte 1971 Can mit "Spoon". Ansonsten durften die Stücke der Kölner Krautrockband auch einmal ganze Schallplattenseiten füllen, hier reüssierte sie im handlichen Drei-Minuten-Singleformat.


Zum Schauen

Den größten für den "Tatort" geschriebenen Hit der 1980er schmachtete der britische Schmuseboy und Ex-Smokie-Sänger Chris Norman mit "Midnight Lady", zu hören in einer Episode des ewigen Radaubruders Schimanski. Geschrieben hat das Lied Dieter Bohlen (ja, genau der).


Aus dem Archiv

Anlässlich der tausendsten "Tatort"-Episode im November 2016 hat Klaus Nüchtern den Sozialphilosophen Alfred Pfabigan – Autor des Buchs "Der Mord zum Sonntag" – für den FALTER zur TV-Serie befragt. "Borowski ist ein Pandabär" titelte das Ergebnis, Sie können es hier nachlesen.


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