Ich beginne, die Klimaaktivisten zu mögen - FALTER.maily #1026

Florian Klenk
Versendet am 26.02.2023

Ich muss jetzt ein bisschen ausholen. Ich kann Sektierer nicht leiden. Ich kann aber auch reaktionäre Säcke (männliche und weibliche) nicht ausstehen. Schon als Student habe ich gelitten. Es gab die Spinner, die vor der Uni alle mit ihrer kruden Weltsicht belästigten und mir erklären wollten, wieso ein bisschen Gewalt gegen das „System“ nötig sei. Und es gab die Typen mit ihren Schalkrawatten, die beim Lesen der "Aula", das war so eine muffige Nazizeitung, nicht erwarten konnten, so alt zu sein, wie sie aussahen.

Ich gründete meine eigene Vereinigung, die „GMJ“, die Gruppe Moderater Juristen. Ich war ihr einziges Mitglied, das Losungswort lautete „Einerseits, andererseits“, das Erkennungszeichen war die Waage. Das war meine subversive Form des Protests.

Jetzt zu den Klimaklebern, derentwegen ich Ihnen den Quatsch aus meiner Studentenzeit erzähle. Die Klimaaktivisten haben mich zunächst an diese Spinner vor der Uni erinnert. Manche ihrer Aktionen – Anschütten von Gemälden, Luftauslassen – fand und finde ich kontraproduktiv und selbstgerecht. Als ein paar der Aktivisten kürzlich einem Gerichtsprozess mit der Entschuldigung fern blieben, sie müssten nach Bali jetten, lachte ich sie aus. Wer andere am Weiterfahren hindert, weil sie Benzin verbrennen, kann nicht im nächsten Augenblick in den Flieger steigen.

Einerseits. Andererseits muss ich jetzt ein Geständnis ablegen.

Je länger ich mir die reaktionären Kritiker der Klimakleber anschaue, desto sympathischer werden mir viele der Aktivisten. Erstens, weil sie recht haben, dass sich endlich was ändern muss. Wir betonieren das Land zu, wir bauen eine Straße nach der anderen, wir fördern immer noch die Falschen, wir bestellen bei Amazon und schicken Bücher mit LKWs zurück. Jane Fonda zum Beispiel jettet mit dem Privatjet zum Opernball – sie fliegt nur Privatjet – und verkleidet sich dort als Klima-Aktivistin. Wer wenn nicht die nächste Generation (es wird nicht die letzte sein) soll das thematisieren?

Die Klimaaktivisten werden mir auch deshalb immer sympathischer, weil sie nicht unfehlbar sind, weil sie mitunter patschert wirken wie Welpen und nicht so durchgestylt sind wie die Liste Kurz. Weil sie ihre körperliche Unversehrtheit aufs Spiel setzen – und dabei buchstäblich ins Fettnäpfchen treten. Kürzlich haben Aktivisten auf dem – abgesperrten – Verteilerkreis Favoriten in Wien zum Beispiel Öl ausgeschüttet. Eine Aktion, die zeigte, dass uns der Autoverkehr ins Schleudern bringt. Niemand wurde gefährdet, die Straße war ja gesperrt, die Feuerwehr wischte das Zeug weg.

Vorher ereignete sich aber diese Szene: Eine Aktivistin rutschte am selbst verschütteten Öl aus, ich vermute, es hat ihr wirklich weh getan, am Asphalt zu landen. Ich habe in diesem Moment eine unglaubliche Empathie verspürt. Da setzt sich eine junge Frau für ein höheres Anliegen ein, fährt zum Verteilerkreis, fällt hin, steht auf und wird vom #TeamSchalkrawatte ausgelacht. Ihr gebührt unser Respekt.

Ihr Florian Klenk


Ein Jahr Krieg

Philipp Ther ist Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien und einer der klügsten Auskenner, wenn es um die Ukraine geht. Für uns hat er einen Gastkommentar verfasst, in dem er nach einem Jahr Krieg gegen die Ukraine eine Bilanz aus historischer Sicht zieht. Seinen Text lesen Sie hier.

Ther können Sie auch in einer aktuellen Folge des FALTER Radio hören, die am Samstag online ging. Darin spricht er mit Robert Misik im Kreisky-Forum über die sich verschiebende politische Geografie Europas und wie die Invasion Russlands in die Ukraine die Sicherheitsarchitektur der Post-1989er-Jahre zertrümmert. Hier hören Sie die Folge.


Spritzmittel

Über ein Thema, das selten im Fokus des öffentlichen Interesses steht, schreibt Gerlinde Pölsler im aktuellen FALTER.natur-Newsletter (für den Sie sich hier kostenlos anmelden können, er kommt jeden Freitag am frühen Nachmittag): Spritzmittel. Wussten Sie etwas, dass Österreich dieses Jahr bereits vier Notfallzulassungen für als gefährlich eingestufte Spritzmittel eingereicht hat, zum Beispiel für Zuckerrüben? Hier lesen Sie Pölslers Text.


Erdbeben

Der 6. Februar 2023 wird in der Türkei und Syrien als Katastrophen-Tag in trauriger Erinnerung bleiben. Über 50.000 Tote wurden bisher geborgen, über 111.000 Menschen als verletzt registriert. Und das Beben wird auch politische Verwerfungen nach sich ziehen. Die Wahlen in der Türkei sind gefährdet. Die türkischen Interventionen gegen linke Kurden in Syrien stehen in der Kritik. Im FALTER Radio analysieren Nahost-Experte Walter Posch und Standard-Redakteurin Gudrun Harrer, einer Veranstaltung des Bruno-Kreisky-Forums. Die Folge hören Sie hier.

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Verstecktes Wien

Die Wiener Durchhäuser stellen sowohl eine historische wie auch architektonische Besonderheit dar, sind vielfach mit romantischen Innenhöfen versehen und werden von den Bewohnern gerne als Schleichwege und Abkürzungen genutzt. Zusammen mit charmanten versteckten Hinterhöfen und kleinen, stillen Gassln bilden sie geheime Pfade zu diesen versteckten Juwelen Wiens.

Legenden, Anekdoten und die beeindruckenden Fotos machen Lust auf das Erkunden dieser einmaligen Kleinode und Farbtupfen im Grau der Großstadt.

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