Grönemeyer hat auch keinen Plan - FALTER.maily #1048
Morgen erscheint "Das ist los", Herbert Grönemeyers 16. Album. Ich freue mich immer, wenn der deutsche Sänger Neues ...
Er war ein Weltbürger des globalen Dorfes und Nomade des elektronischen Zeitalters. Der Wiener Künstler Peter Weibel verband Informatik mit Ironie, Aktionismus mit Medientheorie. Er startete im Mief der österreichischen 60er-Jahre und forderte in anarchischen Aktionen den Staat heraus.
So kroch er 1968 in einer legendären Performance auf allen vieren an der Leine seiner damaligen Lebensgefährtin Valie Export als Hund durch die Wiener Innenstadt. In den 70er-Jahren probierte er die Rockmusik als authentisches Medium aus und fand mit der Band Hotel Morphila Orchester harte Gitarrenriffs für lässige Lines (siehe unten).
Weibel war immer der Erste, schluckte als junger Mann in Schweden LSD, bevor die Droge nach Österreich kam, experimentierte, zumindest in seiner Selbstdarstellung, vor den anderen mit Film und Körper. Er löste die Malerei zum Videobild auf und war in dessen Prähistorie bereits Stammgast im World Wide Web.
Mit dieser Aufzählung versuche ich den Weibel’schen Rhythmus zu imitieren, seine Hochgeschwindigkeitsrhetorik, der ich auch aufgrund seines Lispelns kaum folgen konnte. Ich schmunzelte manchmal über ein Leben voller Deadlines, die bereits bei der Zusage gebrochen wurden.
Weibel wirkte wie eine Gestalt aus einem Science-Fiction-Roman. Ist er schon da oder wieder weg, fragten sich jene Veranstalter, die feststellen mussten, dass der Professor am selben Abend bei verschiedenen Veranstaltungen auftreten sollte. Anfang der 90er-Jahre hatte er gleichzeitig mehrere Professuren inne. "Flugplanmäßig wäre sich das ausgegangen, aber nicht real", erinnerte sich Weibel. 1992 erlitt er einen schweren Herzinfarkt.
Wie nebenbei erledigte er Aufgaben und Leitungsfunktionen ohne Ende: an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst, an der Städelschule in Frankfurt, bei der Ars Electronica in Linz, schließlich in Karlsruhe, wo er bis zu seinem Tod das Zentrum von Kunst und Medien leitete. Ein Kraftwerk der Projekte und intellektuellen Start-Ups.
Dazu Ausstellungen, Symposien, Herausgeberschaften, ein ständiger Strom von Vorträgen, Interviews und Buchbeiträgen. Auch wenn der Sixties-Freigeist manchmal ins Autoritäre kippte, fühlte sich die Umgebung gut aufgehoben. Fans liebten die charmante Filouhaftigkeit und reizende Respektlosigkeit, das Hüpfen von Tief- zu Unsinn. Weibel konnte mit seinem Freund, dem Moderne-Denker Bruno Latour, über das Anthropozän philosophieren und im Wirtshaus mit dem Trankler Schmäh führen.
Fantasie und Alltag durcheinander wirbelnd, verweigerte Weibel den dogmatischen Faktencheck. Ob er tatsächlich im ukrainischen Odessa geboren wurde? Egal. Ob er tatsächlich ein Doktorat in Mathematik erwarb? Welchen Spießer kümmert’s? Hat er sein Archiv nun der Wiener Angewandten oder dem ZKM überlassen? Beide reklamieren das Erbe für sich. Einige von Weibels Behauptungen mögen unwahr sein, gut erfunden sind sie allemal.
Eine letzte Schlagzeile, ein letzter geistiger Funkenflug: Weibel kündigte an, mit seinen 120.000 Büchern – viel Papier für den Propheten der virtual reality – nach Wien übersiedeln zu wollen. Er würde sich für die Bibliothek einen Turm bauen und im Aufzug wohnen, erzählte er den Journalisten. Vielleicht sind es nur 12.000 Bücher – und die Story überhaupt der vorausblickende Entwurf für ein Weibeleum. Wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag ist Peter Weibel in Karlsruhe nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.
Ihr Matthias Dusini
Elvis Presley war für den jungen Peter Weibel lediglich nervtötendes Geplärre. Zur Rockmusik sollte er erst 1967 als Student finden: über Jim Morrisson, The Doors und ihrem Lied "Break On Through (To The Other Side)". Warum, erklärte er dem FALTER 2012 folgendermaßen: "Es war kein stumpfer Testosteron-Rock-’n’-Roll, sondern psychedelischer Drogenpop. Der kognitive Stoff war für mich klanglich sofort erkennbar: Es war klar, dass das weniger in die Eier, sondern mehr ins Gehirn geht, dass diese Musik ganz andere Absichten hat, sich ans Bewusstsein wendet."
Die Zeit des Punk sollte dann auch Weibel selbst – biologisch eigentlich schon ein boring old fart – zum Sänger ermächtigen: Mit der Gruppe Hotel Morphila Orchester nahm er so wunderbare Lieder wie "Dead In The Head", "Sex in der Stadt", "Die Straße ist nass" oder "Liebe ist ein Hospital" auf; die LP "Schwarze Energie" von 1982 ist ein etwas anderer Klassiker des Austropop.
In diesem TV-Beitrag aus den frühen 80er-Jahren bewirbt Weibel seine Band; das anlässlich der Neuauflage von "Schwarze Energie" geführte Interview meines Kollegen Gerhard Stöger können Sie hier in voller Länge nachlesen.
Anlässlich einer Retrospektive im 21er Haus erschien im FALTER im Jahr 2014 dieses umfassende Porträt Peter Weibels, der vom Staatsfeind zum Museumsdirektor aufstieg.
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