Karantanisch verschärft - FALTER.maily #1032

Armin Thurnher
Versendet am 05.03.2023

Ach, Karantanien, du österreichisches Schicksalsländle, das wir zu Haiderzeiten auf dem einen oder anderen Titelblatt schon aus dem Bundesgebiet herausoperiert hatten! Da meinten wir, Österreich könnte gut ohne dieses Bundesland auskommen. Das waren frivole Scherze einer dem Maturantenhumor nie ganz abgeneigten Zeitung, aber was soll’s, dachte ich, als ich über die nun stattgefundene Wahl nachdachte, wie ernst ist es uns allen überhaupt noch mit der Politik?

Da gibt es den besonnenen Landeshauptmann Peter Kaiser, einen Sozialdemokraten, der nicht der Faymann-Schule zuzurechnen ist und der es durch sachliches Aufräumen des korrupten Haider-ÖVP-Schutts in Kärnten zu solchem Ansehen brachte, dass ihn sogar die Kronen Zeitung akzeptierte (aber die ist auch nicht mehr, was sie einmal war).

Des Weiteren brachte er es zu einer Autorität als Landeshauptmann gerade ohne die machistische Autorität jener Vorgänger, denen man den hochgradigen Hitlerjungen nicht nur nachsah, sondern lebenslänglich ansah. Seine 48 Prozent von der letzten Wahl waren auch einem Regime geschuldet, das es schaffte, die Hypo-Katastrophe ohne große Schmerzen für eine Bevölkerung zu bereinigen, die sie durch die wiederholten Wahl Jörg Haiders selbst herbeigeführt hatte. Dieser Vertrauensberg ist abgetragen und auf unter 40 Prozent reduziert.

Peter Kaiser stammt noch aus einer Politikergeneration, die ihre Position intellektuell zu untermauern hatte. Wenngleich er das nicht beim Fenster heraushängt, weiß er, dass Politik von den Interessen verschiedener Klassen bestimmt ist; und als Kärntner ist ihm klar, dass bedauerlicherweise die zentrale politische Erkenntnis des 20. Jahrhunderts darin besteht, dass nicht Klasse, sondern Nation die Politik bestimmt. Wie neuerdings in der Ukraine zu besichtigen. Es war ein Irrtum von Karl Marx, auf Klasseninteressen zu setzen und nationale Interessen zu unterschätzen, wie der Historiker Perry Anderson gern hervorhebt.

Dass es sich bei der SPÖ um eine postmarxistische Partei handelt, die mit beiden Problemen umzugehen hätte, mit Klasse und mit Nation, und nicht nur mit identitätspolitischen Befindlichkeiten, so etwas habe ich in der Debatte über die hiesige Sozialdemokratie noch nie gelesen, dafür mancherlei über Kehlköpfe und Hohlköpfe.

Die Identitätspolitik der SPÖ besteht seit Werner Faymann darin, sich auf die politische Identität der wichtigen Medienbesitzer zu konzentrieren und deren Sympathie zu kaufen. Dass sich diese Idee erschöpft, wenn Mittel staatlicher Inserate nicht mehr zur Verfügung stehen, erweist sich jetzt auf bittere Weise. Alternative Konzepte zur Erringung einer Hegemonie konnte man nicht aushecken. Am Geld hat’s gefehlt, aber an mangelnder Zeit kanns nicht gelegen sein.

Zur Strafe setzt’s nun noch eine kärntnerisch verschärfte SPÖ-Führungsdebatte obendrauf, mit Peter Kaiser vielleicht als Mediator, aber nicht mehr als Heilsbringer (falls jemand daran gedacht hätte und obwohl ohne ihn die SPÖ noch mehr verloren hätte). Niemand hätte erwartet, dass diese „Debatte“ durch die karantanische Wahl gedämpft würde. Sicher nicht jene, die sie schon zuvor ganz ohne ideologisches und parteipolitisches Interesse angefacht haben. Und sonst? Nehammer triumphal bestätigt! – Nach Kickl-Flop, FPÖ-Führungsdebatte befeuert: Siegen wir mit Corona, mit Putin oder beidem? – Plus: Kogler-Partie erledigt, Meinl-Reisinger gescheitert.

Ich kippe mir jetzt einen doppelten Filzmaier hinunter. Wär’s nicht so deprimierend, wäre es erheiternd.

Ich wünsche Ihnen trotzdem eine schöne Woche.

Ihr Armin Thurnher


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