Aus dem Leben eines Kritikers - FALTER.maily #1045
Übermorgen erscheint die nächste Ausgabe der FALTER-Buchbeilage. Gerlinde Pölsler (Sachbuch), Kirstin Breitenfellner (Kinderbuch) und ...
Morgen ist der "Frauentag" und der erinnert mich an ein Erlebnis, das ich nie vergessen möchte. Vor vielen Jahren hat eine Kollegin eine Blattkritik gehalten. Sie hatte einen Zettel dabei und darauf notierte sie akribisch mit Stricherln, wieviele Männer und wieviele Frauen wir im FALTER sichtbar gemacht hatten.
Bei den Männern waren sehr viele Stricherl. Die gezählten Männer trugen fast alle Krawatte. Sogar auf den Karikaturen seien fast nur Männer zu sehen, scherzte sie.
Ich hatte mich damals innerlich geärgert. Ich nahm es irgendwie persönlich. Ich redete mit ein, dass mir die Kollegin vorwerfen wollte, dass wir Männer lieber Männer statt Frauen sichtbar machen, also Frauen diskriminieren.
Dabei arbeiten doch mehr Frauen als Männer im FALTER, antwortete ich etwas hilflos. Das sei doch alles nur Zufall!
Sie führte mir damals etwas vor Augen, das ich als Mann nicht gesehen hatte: dass Frauen in den Medien und in der Öffentlichkeit weniger sichtbar sind als Männer.
"Wir schreiben ja darüber, was ist", sagte ich. Männer sind eben öfter an der Macht. "Das ist nicht unsere Schuld."
"Aber wir schreiben wohl auch darüber, was sein könnte", erwiderte sie. Und da blicken wir, wie sie zurecht erkannte, zu oft auf den Mann.
Vielleicht, liebe Männer, geht es Ihnen wie mir. Ich gestehe, dass der Feminismus erst spät in mein Leben getreten ist. Ich bin privilegiert aufgewachsen, mit starken, berufstätigen Frauen. Keine derer, die um mich herum waren, fühlte sich benachteiligt oder entrechtet, zumindest war es kein Thema. Es waren Ärztinnen, Unternehmerinnen und Kauffrauen, die mich prägten. Meine Mutter hatte ein Türschild, darauf stand "Arzt".
Dieses Umfeld aber trübte meinen Blick auf jene, denen Rechte und Chancen verwehrt worden waren, nur weil sie Frauen sind. Genauer: Ich sah als Heranwachsender und Student das Problem nicht, weil es mich nie betraf.
Nach dem Studium beschäftigte ich mich mit Rassismus, das war für mich als linksliberalen, kritischen Juristen das Thema der Zeit, ich wuchs auf in der Haider-Zeit der Neunzigerjahre.
Doch dann traten immer mehr Frauen in mein Leben, die mich so herausforderten, wie die Kollegin in der Blattkonferenz.
Sie drückten mir Bücher in die Hand, etwa von Simone de Beauvoir, Adelheid Popp und Margarete Stokowski. Sie zeigten mir diese Filme, in denen Männer die Rollen von Frauen einnehmen und umgekehrt. Oder dieses Video, das mit versteckter Kamera aufgenommen wurde: Eine Frau spaziert durch eine Stadt und wird unentwegt belästigt.
"Schau Dir die Disney-Filme an", sagte eine Freundin "und lies die Märchen: die Frauen warten auf Prinzen, die Männer sind Jäger und Kämpfer."
"Schau Dir die Mode an: Sie Frauen wackeln auf Stöckelschuhen, die Männer finden mit bequemen Tretern ihren Weg."
"Männer können in der Nacht in Ruhe nach Hause spazieren, Frauen haben Angst."
"Männer können oben ohne spazieren, Frauen nicht. Männer behalten nach der Hochzeit ihren Namen, Frauen nicht."
"Schau Dir die Gehaltszettel an, die Einkommensstatistiken, die Pensionen der Frauen und die Zahl der Alleinerzieherinnen. Schau Dir die Moscheen an: vorne die Männer, hinten die Frauen. Sie tragen Kopftuch, Männer nicht. Zähle die Männer im Vatikan und die Priesterinnen in deiner Pfarre!"
"Zähle die Anzahl der Professorinnen an deiner Fakultät und die weiblichen Statuen im Arkadenhof."
"Zähle die Dirigentinnen beim Neujahrskonzert und finde die Männer, die am Spielplatz stehen. Schau, auf welcher Toilette sich der Babywickeltisch befindet."
Und so schärfte sich in den vergangenen 20 Jahren mein Blick. Immer stärker und stärker. Er ist immer noch männlich, immer noch privilegiert.
Aber er ist hoffentlich ein bisschen weniger blind für das, was mir die Kollegin damals zeigen wollte und woran dieser feministische Kampftag, der 8. März, erinnern soll: Dass da noch viel zu tun ist für uns Männer.
Ihr Florian Klenk
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