Aus dem Leben eines Kritikers - FALTER.maily #1045
Übermorgen erscheint die nächste Ausgabe der FALTER-Buchbeilage. Gerlinde Pölsler (Sachbuch), Kirstin Breitenfellner (Kinderbuch) und ...
Die größte Überraschung der 95. Oscar-Nacht bot Lady Gaga. Nicht etwa mit ihrem Song aus "Top Gun: Maverick", dem Überfliegerfilm des vergangenen Jahres, für den sie allen Ernstes nominiert war, sondern bereits im Vorfeld mit ihrem Auftritt am Champagnerfarbenen Carpet. Sie trug ein schwarzes Nichts von einem Kleid aus dem Haus Versace, dessen Rückenansicht so spektakulär tief blicken ließ, dass sich die Fotografen lieber hinter sie drängelten. Einer der eifrigen Knipser verstolperte sich beim Anblick ihrer Robe, woraufhin die Lady ihm spontan zu Hilfe eilte. Was dann wiederum doch schön zu "Hold My Hand" passt, ihrem Lied aus dem später immerhin für den besten Sound ausgezeichneten Tom-Cruise-Spektakel, das als erster Film nach der Pandemie weltweit das Publikum zurück ins Kino brachte.
Überhaupt wurde das Comeback zur maßgeblichen Kategorie der diesjährigen Verleihung. Brendan Fraser, den nie irgendjemand als Schauspieler ernst genommen hatte, triumphierte nach schwerer existenzieller Krise als Titelheld der Tragikgroteske "The Whale" als bester Hauptdarsteller. Die fabelhafte Jamie Lee Curtis, mit 64 Jahren erstmals nominiert, heimste, wie auch Ke Huy Quan, die Trophäe für eine wenig ergiebige Nebenrolle in "Everything Everywhere All at Once" ein.
Und die fantastische Michelle Yeoh, ehemals Star dutzender Hongkongfilme, errang mit ihrer Rolle als gestresste Wäschereibesitzerin im selben Film als erste asiatische Schauspielerin überhaupt die Auszeichnung beste Hauptdarstellerin. Dass Yeoh damit selbst die favorisierte Cate Blanchett in "Tár" aus dem Rennen schlug, hätte man freilich kommen sehen können. Bei den Oscars entscheiden nicht zuletzt Sympathiewerte: Ein so unguter Charakter wie Lydia Tár kann maximal in der Kategorie Supporting Actor reüssieren.
Selten fiel das Votum der Mitglieder der Academy so eindeutig aus wie in diesem Jahr. Als großer "Gewinner" des Abends erwies sich "Everything Everywhere All at Once" von Daniel Kwan und Daniel Scheinert, der insgesamt sieben Preise auf sich vereinte, darunter auch in den Hauptkategorien beste Regie und bester Film. Der unerwartete Preisregen hat für hiesiges Publikum einen netten Nebeneffekt: Der Film, der beim regulären Start im Herbst markant hinter allen Erwartungen blieb, feiert ab Donnerstag ein Comeback in den heimischen Kinos.
Als bester internationaler Spielfilm wurde die deutsche Netflix-Produktion "Im Westen nichts Neues" mit Burg-Schauspieler Felix Kammerer ausgezeichnet, die mit Kamera, Production Design und Filmmusik noch drei weitere Preise erhielt. Erfreulich politisch die Oscars für den besten Dokumentarfilm ("Nawalny") und den besten Animationsfilm ("Guillermo del Toro's Pinocchio").
Die großen "Verlierer" des Abends: "The Banshees of Inisherin" (neun Nominierungen), "The Fabelmans" (sieben Nominierungen) sowie "Tár" (sechs Nominierungen). Sie alle gingen leer aus. Monika Willi, als Schnittmeisterin des letztgenannten Films nominiert, wird das weniger bekümmern als der Umstand, dass sie die Teilnahme an der Gala in Los Angeles kurzfristig absagen musste.
Wir fiebern nächstes Jahr dann wieder mit, wenn es heißt: And the Oscar goes to ...
Ihr Michael Omasta
Insgesamt sechsmal für den Oscar nominiert war Michael Caine, zweimal hat er ihn gewonnen, 1987 für "Hannah and Her Sister" und 2000 für "The Cider House Rules". Morgen begeht der britische Charakterschauspieler seinen 90. Geburtstag, weshalb am Wochenende auf Arte die hübsche Doku "Sir Michael Caine – Vom Arbeiterkind zum Hollywoodstar" gezeigt wird.
Um das Gewese rund um die Oscars auf ein angemessenes Maß zurechtzurücken, sei hier kurz aus Michael Caines amüsantem Buch "Die verdammten Türen sprengen und andere Lebenslektionen" (deutsch 2019 im Alexander Verlag erschienen) zitiert:
"Preisverleihungen sind Fluch und Segen, sie gehören einfach dazu. Die begehrteste Auszeichnung in meiner Welt ist der Academy Award oder Oscar. Wie viele Dinge im Filmgeschäft sieht die Zeremonie als solche sehr glanzvoll aus, tatsächlich ist sie mit viel Warterei, Anspannung, unbequemen Klamotten und einem permanenten Hungergefühl verbunden.
Ob man gewinnt oder verliert, die Nominierung rückt einen in den Mittelpunkt, und man sollte versuchen, sich entsprechend zu verhalten – als großherziger und bescheidener Gewinner oder aber als guter Verlierer. Ich glaube, die Kunst besteht darin, das alles nicht zu ernst zu nehmen. Falls Sie gewinnen, freuen Sie sich einfach über den schönen Moment, falls Sie verlieren, reden Sie sich gut zu, dass solche Preise gar nicht wichtig sind."
Die 23-jährige Welserin Thea Ehre wurde auf der Berlinale als beste Nebendarstellerin geehrt. Ihre Filmfigur ist eine Transfrau, so wie sie selbst. Hier lesen Sie ein Porträt, verfasst von Lina Paulitsch.
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Zwar wurde hier schon wiederholt darauf hingewiesen, ein letztes Mal sei es uns aufgrund der jüngsten Ereignisse dennoch gestattet, diesen Podcast zu empfehlen: Mitglieder des Wiener Burgtheaters – darunter der oben erwähnte Felix Kammerer – haben diesen FALTER-Podcast eingesprochen. Sie liehen einer ukrainischen Familie im Krieg ihre Stimmen, das Resultat ist so berührend wie bedrückend.
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