Je suis SPÖ - FALTER.maily #1050
Bevor China die schlimmsten Seiten von Kommunismus und Kapitalismus zur Nationalphilosophie erhob, gab es dort einige interessante Denker. Huainanzi ...
Am Montag waren Kollege Lukas Matzinger und ich am Wiener Straflandesgericht. Wir schauten uns den Prozess gegen den Novomatic-Lobbyisten Gert Schmidt an, Professor Gert Schmidt. Plötzlich bog Julian Hessenthaler ums Eck, der Macher des Ibiza-Videos. Er sah erstaunlich fit aus. Er trägt eine Fußfessel. Er sagte, auch ihn interessiere diese Verhandlung.
Der Angeklagte: Professor Schmidt, ein kleiner, gedrungener Mann von 78 Jahren, nennt sich "Journalist" und ist in Wahrheit Nachrichtenhändler für einen Glücksspielmilliardär namens Johann Graf.
Graf – auch er trägt den Titel Professor – ist der Novomatic-Eigentümer, ihm gehört der Milliardenkonzern, der "alle drei" Parteien zahlen soll (laut Heinz-Christian Strache) – über Vereine, am Rechnungshof vorbei. Gegen ihn wird ermittelt, weil er Manager und Entscheidungsträger mit Millionen beschenkt haben soll.
Graf stellte in Wien tausende Glücksspielautomaten auf, die der OGH später als "illegal" beurteilte. Damit verdiente Graf sein Vermögen. Einige Millionen davon verschenkte er an Freunde und Manager. Oder an die Ehefrau jenes Mannes, der seine Automaten als Vorsitzender des "Spielapparatebeirats" kontrollieren sollte, ein sozialdemokratischer Funktionär namens Ernst Riedl. Dessen Gattin bekam zwei Millionen.
Weil also illegales Glücksspiel und Geld die Stadt fluteten, verloren immer mehr Menschen ihre Existenzen. Sie verklagten Professor Grafs Novomatic und zeigten ihn an. Und da rückte Professor Schmidt aus und half Professor Graf, ihm die lästigen Spieler vom Leibe zu halten. Mit Geld. Und mutmaßlich auch mit versuchter Erpressung. Die Professoren, so der Verdacht, seien vielleicht in Wahrheit Paten.
Die Sache lief so ab: Schmidt zahlte den Spielern Geld, die hörten sodann auf, Kopien ihrer Prozessunterlagen an Journalisten zu spielen, etwa an mich. Ich konnte mit der Hilfe verschuldeter Spieler nämlich einst die Machenschaften der Novomatic aufdecken. Den Artikel las Niki Kowall, ein rebellischer Roter. Er stellte am SPÖ-Parteitag anno 2014 einen Antrag auf Verbot des Kleinen Glücksspiels und schon waren die Automaten aus Wien wieder verschwunden. Michael Häupl grantelte, denn die Automaten spülten Geld in die Stadtkassa. Die Novomatic sponserte zudem das Praterfest der Wiener SPÖ.
Warum aber musste Gert Schmidt nun vor Gericht? Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass er einen Novomatic-Kooperationspartner, den ehemaligen Rapid-Tormann Peter Barthold, dazu angestiftet haben soll, vor dem Ibiza-U-Ausschuss falsch auszusagen – und zwar im Sinne der Novomatic. Barthold war im Streit von der Novomatic geschieden und deckte auf, wie die Novomatic Politiker mit Geld versorgte. Barthold war lästig.
Schmidt, so der Vorwurf, soll Barthold daher dazu angestiftet haben, falsch auszusagen, um die Novomatic zu schützen. Man traf sich auf einer Raststation und Schmidt gab Barthold angeblich einen Zettel. Vor dem Ibiza-U-Ausschuss sollte Barthold folgenden Satz vorlesen: "Auch wenn Sie es überrascht, das von MIR (Hervorhebungen im Original; Anm.) zu hören: Ja, die NOVOMATIC-Gruppe war zu jeder Zeit ein fairer, verlässlicher Partner. Rückblickend muss ich auch dem Land Wien attestieren, dass das heute so kritisierte "Kleine Glücksspiel" vortrefflich von WIEN kontrolliert wurde – es gab KEIN ILLEGALES Automaten-Glücksspiel in Wien." Auch über Geld sei geredet worden. Barthold legte diesen mutmaßlichen Einflussversuch offen, deshalb ist Schmidt nun angeklagt.
Es ist aber nicht das erste Mal, dass Schmidt – Jahresumsatz laut eigenen Angaben zwei Millionen Euro – Novomatic-Kritiker bedrängt haben soll. Im Prozess saß auch Thomas Sochowsky, ein Spielervertreter. Auch er zeigte Schmidt an, weil er ihn, Sochowsky, nach Unterweltmanier habe fertigmachen wollen. Wieso Sochowsky sowas behauptet? Ein Mitarbeiter von Professor Schmidd hatte ausgesagt, dass er Sochowsky Drogen ins Auto legen sollte – die Aktion nannte sich "Operation Schneesturm". Der Mitarbeiter erklärte dies als Zeuge unter Wahrheitspflicht und vor einem Notar an Eides statt. Schmidt bestreitet das.
Und auch Julian Hessenthaler hat mit Schmidt noch eine Rechnung offen. Hessenthaler ist der Mann, der das Ibiza-Video drehte und damit nicht nur die Regierung Kurz/Strache stürzte, sondern auch die Novomatic in große Bedrängnis brachte. Er ist aus dem Gefängnis raus und trägt Fußfessel. Er will keine Interviews geben, sagt er. Aber der Prozess ist ihm wichtig. Er darf ihn besuchen.
Hessenthaler wurde 2022 aufgrund der Aussage von zwei Zeugen wegen Drogenhandels verurteilt. Den Zeugen hatte Professor Schmidt 65.000 Euro für Infos und Anwälte bezahlt. Die Zeugen wurden wegen Kokainhandels eingesperrt, entlasteten Julian Hessenthaler – um ihn dann, nachdem das Geld geflossen war – zu belasten.
Ein Zeuge (und dessen Freundin) verwickelten sich in enorme Widersprüche, den St. Pöltner Richter Markus Pree irritierte das aber nicht. "Der Umstand, dass sie sich widersprochen haben, ist ein Beweis dafür, dass sie sich nicht abgesprochen hatten", hatte Richter Pree allen Ernstes gesagt. Das Publikum im Saal traute seinen Ohren nicht, aber das Urteil hielt in der zweiten Instanz: 3,5 Jahre Haft.
Gert Schmidt will nie Einfluss auf Zeugen genommen haben. Er will nur der "kleine Professor Schmidt" gewesen sein. Aber er war einer, der auf Oe24 und später im Exxpress in einer wöchentlichen TV-Show Dreck gegen Hessenthaler, die WKSTA und den FALTER warf. Er verbreitete immer wieder so starke Unwahrheiten, dass ihn das Gericht wegen übler Nachrede verurteilte.
Das Gerichtsverfahren am Montag wurde vertagt.
Die Frage, wie Schmidt an seinen Professoren-Titel bekam, kann aber beantwortet werden. "In seinen wissenschaftlichen Arbeiten", so begründete es die damalige ÖVP-Wissenschaftsministerin Beatrix Karl, "setzt sich Schmidt sehr engagiert mit den sozialen Dimensionen des Glücksspiels (...) auseinander. Er hat dadurch ein geschärftes Problembewusstsein bei entsprechenden öffentlichen Stellen und in der medialen Diskussion geschaffen." So kann man es auch sagen.
Lukas Matzingers Gerichtsreportage für den FALTER lesen Sie hier.
Ihr Florian Klenk
Seit Wochen recherchiert Wirtschafts-Aufdecker Josef Redl über die Frage, wieso die Raiffeisen Bank International die Reste der Sberbank Russland kaufen will. Nun hat er von einem Informanten jene Dokumente erhalten, die einen schlimmen Verdacht näheren. Raiffeisen packelt mit Putins Bankern, um einen in Russland eingefrorenen Milliardengewinn zu lukrieren - und verschafft damit auch Putin Milliarden. Die Raiffeisen bestätigt Redls Recherchen, nennt sie aber nur Gedankenspiele. Die investigative Recherche lesen Sie hier.
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Wien verbindet
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