Mir niederösterreicht’s! - FALTER.maily #1044
Gräben zuschütten. Welch ein frivoles Wort, wenn wir uns vor Augen halten, welche Gräben da angesprochen werden. Nämlich jene ...
Gestern hatten wir Besuch in der FALTER-Redaktion, eine 15-jährige Schülerin aus Wien. Sophia hat bei uns eine Blattkritik gemacht. Das passiert bei uns jede Woche vor der Redaktionssitzung. Jemand aus der Redaktion oder eben ein Gast gibt uns ein Feedback über die letzten Ausgaben.
Sie war gescheit und goschert. Es hat Spaß gemacht, den FALTER mit ihren Augen zu sehen. Im Vergleich zu anderen Themen fand sie die Russland-Geschäfte der Raiffeisen Bank International ein wenig überrepräsentiert. Da wusste Sophia noch gar nicht, dass diese Woche schon wieder ein Raiffeisen-Cover erschienen ist. Sie hat die Frage gestellt: "Was geht mich diese Bank an?" Und hat damit ins Schwarze getroffen.
Oft gelingt es uns nicht, unsere akribisch recherchierten Geschichten in einen Gesamtzusammenhang zu setzen. Uns Zeit und Platz für die Antwort auf die Frage "Warum ist das wichtig?" zu nehmen. Oder eben: "Was geht mich diese Bank an?"
Jede Menge! Die Raiffeisen ist nämlich nicht irgendeine Bank. In vielen Bereichen geht in Österreich überhaupt nichts ohne das Giebelkreuz. In der Landwirtschaft zum Beispiel: Dort beherrscht das Genossenschaftsnetzwerk einen guten Teil des gesamten Wirtschaftskreislaufs. Die Lagerhäuser sind der dominante Anbieter für alles, was Bauern an Betriebsmitteln brauchen. Vom Saatgut über Futtermittel bis zum Maschinenpark.
Die Molkereien der Raiffeisengruppe (NÖM, Berglandmilch, Gmundner Molkereien) haben beinahe Monopolstellung (95 Prozent Marktanteil) am Frischmilchmarkt. Europas größter Mühlkonzern gehört ebenso zur Raiffeisen-Gruppe wie die gesamte österreichische Zuckerproduktion. Der Raiffeisen-Obermüller heißt Josef Pröll. Der frühere Finanzminister und ÖVP-Parteichef ist nach seinem Rückzug aus der Politik in der Raiffeisen-Beteiligungsholding Leipnik-Lundenburger untergekommen. Auch in der Politik ist das Giebelkreuz ein bestimmender Faktor.
Wäre die Raiffeisen eine Partei, sie hätte locker Klubstatus im Parlament. Elf aktuelle Nationalratsabgeordnete (alle ÖVP) hatten in den vergangenen zehn Jahren einen Job oder eine Funktion in der Raiffeisenorganisation. Da sind Beteiligungen gar nicht mit eingerechnet. Wie zum Beispiel an der Voestalpine oder am Baukonzern Strabag. Dort heißt der Aufsichtsratsvorsitzende übrigens Alfred Gusenbauer, sein Stellvertreter ist Erwin Hameseder. Hameseder ist Generalanwalt des Raiffeisenverbandes, also der oberste Genossenschafter.
Und was der sonst noch alles ist: Aufsichtsratsvorsitzender der Raiffeisen Bank International wie auch der Mediaprint, die für Kronen Zeitung und Kurier Druck, Vertrieb und Anzeigengeschäft abwickelt. Klar, der Kurier (und damit das Nachrichtenmagazin profil) gehört ja auch zu Raiffeisen. Da fällt mir aber auch ein, was Erwin Hameseder nicht mehr ist: Vorstand der Dr. Erwin Pröll Privatstiftung. Das mit Landesgeldern vollgestopfte Ausgedinge für Ex-Landeshauptmann Pröll ist nach einer Aufdeckerstory des Kollegen Florian Klenk abgewickelt worden.
Ich fürchte, ich schweife ab. Und das, ohne auch nur ein Wort über die zwei Milliarden Euro zu verlieren, die die RBI im Jahr 2022 in Russland verdient hat - und jetzt über die Bank und an den Sanktionen vorbei zurück nach Wien schicken will. Ich verspreche aber, ich werde weiterhin versuchen, deine Frage zu beantworten, Sophia.
Ihr Josef Redl
Wenn Sie mehr über die Milliarden erfahren wollen und was sie mit Putins Kriegskasse zu tun haben, können das hier in unserer Coverstory nachlesen.
Die Geschäfte von Sberbank und RBI waren auch Thema eines Gesprächs mit Raimund Löw und der Nationalratsabgeordneten Nina Tomaselli von den Grünen, das wir heute für den FALTER-Podcast aufgenommen haben. Hier gibts die Sendung zum besseren Verständnis und mit ersten Reaktionen aus Politik und Medien anzuhören.
"Manchmal tauche ich in Debatten ein und denke mir: Oida?" Marc Elsberg kann einem doch wirklich aus der Seele sprechen. Im FALTER.natur-Ressort lesen diese Woche ein Gespräch mit dem Bestseller-Autor darüber, wie der Mensch das Klima steuern könnte, was das mit Weltpolitik zu tun hat und warum Klimaaktivisten umdenken müssen.
Die US-Gitarristin Mary Halvorson zählt zu den spannendsten Musikerinnen zwischen Jazz und Avantgarde. Am Samstag ist sie im Wiener Porgy and Bess zu sehen, Klaus Nüchtern hat die Künstlerin für den aktuellen FALTER porträtiert.
Wien im Ausnahmezustand
2020 bedeutete auch für Wien eine der gewaltigsten Zäsuren der jüngeren Stadtgeschichte. Die Stadt wurde durch den Lokdown in den Tiefschlaf und durch den Terroranschlag in Panik versetzt. Stadtforscher Peter Payer und Fotograf Christopher Mavrič, beide leidenschaftliche Flaneure, erkundeten den Ausbruch und Verlauf der Krise und hielten die urbanen Veränderungen in dem Buch Stille Stadt fest.
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