Nie mehr Schule - FALTER.maily #1103
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen aus meinem Kärntner Jugendzimmer. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich heute wie damals nichts als Wälder ...
Bevor China die schlimmsten Seiten von Kommunismus und Kapitalismus zur Nationalphilosophie erhob, gab es dort einige interessante Denker. Huainanzi ist seit dem zweiten Jahrhundert vor Christus ein wichtiges Buch, im 18. Kapitel beschreibt eine Parabel den Wechsel von Licht und Schatten im Leben.
Im Grenzland zu den Barbaren läuft einem Bauer das Pferd davon, er betrauert bitterlich seine Lebensgrundlage. Dann aber findet das Vieh zurück, hat weitere Pferde mitgebracht, die den Barbaren entlaufen waren. Der Bauer ist reich und sein Bildnis als "Glück im Unglück" ins Weltgedächtnis eingegangen.
Vielleicht steht die Sozialdemokratische Partei Österreichs gerade vor so einem Wechsel. Weil der Landeshauptmann Hans Peter Doskozil laut ihm kompetenter als die aktuelle Chefin ist, wird sich die Partei bald eine neue Führung wählen. Jetzt sind die beiden aber leider durch schlechte Umfragen beziehungsweise schlechtes Benehmen geschädigt. Und plötzlich gibt es 73 Bewerber für diesen Job und tausende dahergelaufene Mitglieder wollen mitreden.
Die Zeitungen befinden: Dieses Pferd ist dahin. Die Krone fragt ihre Online-Leser: "Kandidaten-Chaos: Hat sich die SPÖ selbst ein Ei gelegt?" (93 Prozent: ja.) Oe24 schreibt: "In der SPÖ ist die Kontrolle über die Mitgliederbefragung allen entglitten." Selbst der Standard kommentiert: "Das rote Kasperltheater gibt der ÖVP neue Hoffnung." Die Presse fragt rhetorisch: "Ist das noch Basisdemokratie oder schon eine Farce?" Der Ex-SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina schafft es sogar, 9.050 Parteibeitritte innerhalb einer Woche schlimm zu finden: "Die werden alle wieder gehen ohne einen Cent bezahlt zu haben - einfach ein Witz."
Wahrscheinlich fehlt mir der Zynismus des Innenpolitikveteranen, aber irgendwie kann ich die einhellige Anschauung nicht teilen. Nachdem eine Handvoll Vorsteher diese Partei jahrelang durch Untätigkeit, Unglaubwürdigkeit und Uneinigkeit niedergeritten hatte, mussten die jetzt einmal lüften, und zusehen, wie eine Art Zivilgesellschaft den Laden übernommen hat. Vielleicht sind Projekte ja dann vielversprechend, wenn Menschen wie Christian Deutsch oder Josef Kalina die Kontrolle darüber entglitten ist.
Alleine in Wien sind diese Woche 4.218 neue Pferde zugelaufen, die meisten hegen noch ernsthafte Hoffnung in die sozialdemokratische Idee. Österreich hat einfach ein Herz für Geprügelte: Hansi Orsolics, Ulrich Seidl, SPÖ. In Sozialen Medien bekennen plötzlich Menschen, die in roten Bezirksamthäusern als Klimakleber oder bestenfalls Stadtschreiber angeschaut würden, stolz ihre neuen Farben. Sie wollen trotz allem etwas mit dieser Partei zu tun haben, wollen ihr irgendetwas mitgeben. Die SPÖ wird doch nicht zur Bewegung geworden sein?
69 Männer und vier Frauen wollen führen, drei davon sind überregional bekannt. Der Ausgang ist ungewiss, und auch, ob sich auf diese Weise ein Maßkandidat für die Wetterlagen des nächsten Wahlkampfs finden lässt. Doch die SPÖ bekommt nun etwas geschenkt, womit nun wirklich nicht zu rechnen war: Wochenlang Sendezeit, um ihre Ideen unters Volk zu bringen. Tausende frische Gehirne, die über die Position dieser Partei nachdenken. Und ein Momentum, in dem Rotsein noch als irgendetwas Cooles gelten kann.
Ihr Lukas Matzinger
Vor einem Jahr hat Sänger Isaac Wood die experimentierfreudige Indieband Black Country, New Road für seine Psyche verlassen und arbeitet jetzt in einer Konditorei. Seine Kollegen überraschen ohne ihn mit bleischweren Balladen in Theaterkostümen. Der kanadische Wohlgefühl-Songwriter Hayden wiederum hat sich für sein neues, sonntagshaftes Lied Leslie Feist (Feist) und Matt Berninger (The National) angelacht, auch Steve Buscemi spielt im Video.
Auch Armin Thuners Seuchenkolumne befasst sich heute mit der SPÖ. "Was Politikberater vorzugsweise "Chaostage in der SPÖ" nennen, würde ich ganz gern als schöpferische Unruhe framen. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso die idyllische Friedhofsruhe oder die geordnet marschierende Kolonne als Idealbilder österreichischer Politik hingestellt werden", schreibt er. Hier können Sie den Text in voller Länge lesen.
Im FALTER-Radio hören Sie Nina Chruschtschowas Abrechnung mit Wladimir Putin. Die Russland-Expertin und Urenkelin des ehemaligen sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow prangert Russlands Kriegskurs an und zeichnet ein düsteres Bild der Entwicklung ihres Landes. Das Gespräch mit dem Historiker Philipp Blom wurde in der Akademie für Angewandte Künste in Wien aufgezeichnet.
Gewaltfrei überzeugen
Erfolgsautor Thomas Wilhelm Albrecht weiß, wie Kommunikation klar, sachlich und gewaltfrei gelingt. In „Besser streiten" zeigt er, wie man Initiative ergreift und seine Position verteidigt. Für ein wertschätzendes, aber bestimmtes Miteinander!
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