Eine Frage der Moral - FALTER.maily #1051

Josef Redl
Versendet am 27.03.2023

Anstand und Moral haben sich in der Debattenkultur einen fragwürdigen Ruf erworben. Wenn Argumente fehlen, kann man sich immer noch auf die bequeme Anhöhe der moralischen Entrüstung zurückziehen. Der Einsatz der Moralkeule in der Diskussion gilt allerdings als unsportliches Verhalten. Sie müssen also verzeihen, ich übe noch.

Es ist nämlich so: Ich habe in den letzten Wochen viel über die Russland-Geschäfte der Raiffeisen Bank International geschrieben. Die RBI hat im Kriegsjahr 2022 zwei Milliarden Euro in Russland verdient, so viel wie nie zuvor. Jetzt versucht die Bank, die Gewinne irgendwie nach Österreich zu bekommen (wie, das habe ich hier aufgeschrieben). 

Ich stelle mir also die Frage: Ist das Verhalten der RBI unmoralisch? Ich glaube, ja. (Sie können mir gerne schreiben, wenn Sie anderer Ansicht sind. Natürlich auch, wenn Sie mir zustimmen). Man kann grundsätzlich schon einmal die Frage stellen, ob man in Russland Geschäfte machen sollte - und damit meine ich: vor dem 24. Februar 2022.

Es spricht aber einiges dagegen: Auf Menschenrechte wird in Russland eher gepfiffen, Journalisten und Oppositionelle werden vergiftet oder ins Lager gesteckt (im Fall von Alexei Nawalny erst das eine, dann das andere), Korruption ist beinahe schon Staatsdoktrin und von Tschetschenien und Syrien will ich gar nicht erst anfangen. Sie merken es vielleicht: Ich persönlich bin da reserviert. Soweit es andere betrifft, bin ich aber nicht dogmatisch. Ich will mich ja nicht jetzt schon dem Vorwurf des Moralkeuleschwingens aussetzen. 

Das möchte ich mir nämlich für die Zeit nach dem 24. Februar 2022 aufheben. Nach dem Überfall auf die Ukraine, nach dem Massaker von Butscha, den Luftangriffen auf Kiew, den Feuergefechten rund um das größte Kernkraftwerk Europas. Und selbst da verstehe ich, dass eine Entflechtung nicht so einfach geht. "Eine Bank ist kein Würstelstand, den man über Nacht zusperren kann”, hat RBI-Vorstandschef Johann Strobl gesagt. Vor einem Jahr hat er das gesagt!

Was man aber schon kann: das Engagement drastisch reduzieren. Die Unicredit beispielsweise hat ihr Geschäft um mehr als 60 Prozent heruntergefahren und deshalb in Russland 220 Millionen Euro Verlust gemacht (2021 war es noch ein Gewinn von 218 Millionen). Die RBI ist dagegen noch gewachsen. Das ist eine Entscheidung, die nicht aus der Not getroffen wurde. Und davon hat der russische Staat profitiert. Die RBI hat nicht nur ihren Gewinn in Russland gegenüber 2021 vervierfacht, sondern auch ihre Steuerzahlungen: Umgerechnet 559 Millionen Euro hat Raiffeisen an den russischen Staat abgeliefert. 

Am Freitag vergangener Woche hat die ukrainische Sanktionsbehörde die Raiffeisen Bank International auf die (insgesamt 19 Unternehmen umfasende) Liste der Internationalen Unterstützer des Krieges gesetzt. Damit gehen keine unmittelbaren Konsequenzen einher. Es ist allerdings ein moralisches Urteil. 

Ihr Josef Redl


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