Ein Tag mit Lehrerinnen und Lehrern - FALTER.maily #1052

Florian Klenk
Versendet am 28.03.2023

Ich möchte Ihnen gerne ein bisschen über meinen gestrigen Tag erzählen. Ich besuchte in Salzburg eine Veranstaltung eines Vereins namens "Cool", das ist eine Initiative engagierter Lehrerinnen und Lehrer. Sie vernetzen sich untereinander, weil sie den Unterricht verbessern wollen. Cool steht für "Cooperative offenes Lernen".

Schon das ist ungewöhnlich. Lehrerinnen und Lehrer, so erfuhr ich bei der Veranstaltung, vernetzen sich in den meisten Schulen nämlich gar nicht. Es ist nicht vorgeschrieben. "Alle wurschteln so vor sich hin", erzählte mir Georg Neuhauser, ein engagierter Lehrer aus Steyr. 

Ein anderer Lehrer, er wechselte von der Privatwirtschaft an die Schule, war "richtig geschockt", wie wenig Austausch und Teamgeist es unter Lehrern gibt. Während er in seiner Firma ständig im Austausch mit Kollegen gestanden sei, sei das im Klassenzimmer eigentlich kaum der Fall. Da gehe, erzählten mir die "Cool"-Pädagogen, ziemlich viel Wissen verloren. 

Nur eine Kollegin widersprach, sie erlebe das ganz anders, ein wöchentliches Meeting des Lehrpersonals sei sogar vorgeschrieben. Die Pointe war: Sie unterrichtet in Südtirol, also in einem anderen Staat.

Die "Cool"-Lehrer wollen diese fehlende Vernetzung untereinander ändern. Sie tauschen sich aus, reisen in ferne Länder, laden Externe ein, um mit ihnen zu diskutieren. 

Gestern waren deshalb die Schriftstellerin Anna Baar, der Zukunftsforscher Tristan Horx und ich eingeladen. Wir diskutierten nach kurzen Vorträgen in kleinen Gruppen. Dabei habe ich einiges gelernt. 

Erstens: Es gibt ein Problem mit der Generation der "Coronials". Die Kinder tragen aufgrund der Lockdowns und Beschränkungen erstaunlich oft psychische Verwundungen in sich, Horx spricht von "Traumatisierung". Sie brauchen vermehrt analoge statt digitaler Kompetenz. 

Was das bedeutet? Anstatt Kindern, die im Lockdown vor den Computern lernten, auch noch kostenlose Tablets in die Hand zu drücken, wie Sebastian Kurz es tat, wäre körperliche Nähe zu Gleichaltrigen, Konzentration auf längere Projekte, das Erzählen-Lernen, und "die Bekämpfung der wachsenden Sprachlosigkeit" (eine Lehrerin) nötig. 

Zweitens: Es gibt einen kaum noch zu bewältigenden Anspruch an die Lehrerinnen und Lehrer. Sie soll Kinder nach dem "Captain mein Captain"-Prinzip unkonventionell und packend unterrichten, sie zu kompetenten und rundum gebildeten Eliten ausbilden. Aber zugleich mit einer wachsenden Zahl jener Schülerinnen und Schüler zurechtkommen, die "sprachlos" sind – weil sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft, familiärer Vorgeschichten oder aufgrund der Corona-Jahre komplett überfordert sind. 

Drittens: Es gibt offenbar eine Ratlosigkeit, wie man mit dem Handy umgeht. Tik-Tok für Mädchen, Spiele für Buben: viele Lehrerinnen und Lehrer wirken überfordert mit der algorithmisch gesteuerten Sucht erzeugenden Technologie, die unseren Kindern nicht nur die Konzentration raubt, sondern zunehmend auch die "analoge Interaktion". Die Kommunikation der Kinder werde schriftlicher, unverbindlicher, kürzer. In den Pausen, so erzählt eine Lehrerin, gehen die Kids nicht händchenhaltend herum, sondern holen das Handy raus. Das sei kein Grund für Kulturpessimismus, aber man müsse es im Auge behalten. 

Viertens: Es gibt ein Gewerkschaftsproblem. Die Lehrerinnen und Lehrer der Initiative "Cool" beklagen, dass es erstaunlicherweise die eigenen Personalvertretungen und Gewerkschaftsfunktionäre seien, die kreative Initiativen bekämpfen und ersticken. Sie würden sich stur um Stundenzahl und Arbeitsplatzsicherung kümmern. Aber nicht um "unser Glücksgefühl in der Klasse", wie ein Lehrer es nennt.

Fünftens: Es gibt Hoffnung. Erstaunlich viele Lehrerinnen und Lehrer sagen, sie hätten eigentlich genug Freiheiten, den Unterricht kreativ zu gestalten. Ich habe Quereinsteiger getroffen, die – abseits großen medialen Gedöns – still und leise das System von unten reformieren wollen, weil sie von Politik und Gewerkschaft nichts erwarten. In ganz kleinen Schritten. 

Ihr Florian Klenk


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