Die Angst vor dem Schulausflug - FALTER.maily #1108
"Ich habe mich so gefreut, als die Stadt bekanntgegeben hat, ab Herbst bekommen auch Schülerinnen und Schüler in unserer Schule ein ...
„Nett ist die kleine Schwester von Scheiße", lautet ein bekannter Spruch, der's mittlerweile sogar zum Buchtitel gebracht hat. Obwohl ich ihn eigentlich etwas kryptisch finde – Was genau soll das heißen? –, verstehe ich ihn wohl dahingehend richtig, dass er unnett über nette Menschen urteilt. Die gelten gemeinhin als uncharismatisch, langweilig und geistig ein bisschen bescheiden. Wer nett ist, so die Hypothese, ist bloß zu blöd, um zu durchschauen, nach welchen Regeln diese Welt funktioniert und sich ihrer zum eigenen Vorteil zu bedienen. Es ist ein bisschen die Logik von „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin."
Wie Sie vermutlich bereits ahnen, möchte ich dem widersprechen. Die Geringschätzung der Nettigkeit speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Eine ist die Verachtung der „Sklavenmoral", die Nietzsche zufolge ihrerseits aus dem Geist des Ressentiments geboren ist: Die Gutmütigen machen die „Herrenmoral" nur schlecht, weil sie selbst zu dumm und träge sind, sich deren Maßstäben zu eigen zu machen; unfähig, selbst Werte zu setzen, machen sie die der anderen schlecht. Diese Kritik ist durchaus nicht unberechtigt, wie man an der moralischen Nobilitierung des Opferstatus sehen kann, die heute den politischen Diskurs beherrscht.
Darüber hinaus sind nette Menschen aber auch insofern verdächtig, als man ihnen unterstellt, gar nicht anders zu können: Sie sind quasi „naturnett", was wiederum die moralische Dignität ihres Nettseins untergräbt, denn wenn man gar nicht anders kann, ist es auch keine moralische Leistung, nett zu sein. Wenn ich recht sehe, ist es das, worauf der Philosoph Martin Seel mit seinem „Humphrey-Bogart-Theorem" zielt: Die nicht-ganz-so-guten Menschen wären demnach besser als die ganz guten.
Wahrscheinlich ist Pádraic Súilleabháin ein solcher „naturnetter" Mensch. Aber verdient er unsere Verachtung? Ich würde sagen: nein. Wir verstehen seine Empörung und es geht uns zu Herzen, wenn er Colm Doherty, der auf einmal nicht mehr sein Freund sein will, ein „You used to be nice!" entgegenschleudert. Martin McDonaghs Film „The Banshees of Inisherin" stellt die Frage, ob es notwendig beziehungsweise gerechtfertigt ist, die Nettigkeit einem höheren Ziel zu opfern – im konkreten Falle dem, ein bedeutendes Kunstwerk zu schaffen. Abgesehen einmal davon, dass Zweifel angebracht sind, ob Colm als Komponist je auch nur annähernd die Bedeutsamkeit des von ihm aufgerufenen (und im falschen Jahrhundert angesiedelten) Mozart erlangen wird, lässt sich die Triftigkeit dieses schwarzromantischen Narrativs – Genies müssen zumindest ein bisschen böse sein – auch anzweifeln.
In eine ähnliche Richtung zielt jene Delegitimierung der Nettigkeit, die dieser unterstellt, lediglich auf Konventionen zu beruhen: Man ist nett, weil es sich eben „so gehört" und es von einem erwartet wird und weil man hofft, dass man seinerseits verschont wird: „Der getretene Wurm krümmt sich", so noch einmal Nietzsche. „So ist es klug. Er verringert damit die Wahrscheinlichkeit, von neuem getreten zu werden. In der Sprache der Moral: Demut."
Auch für dieses böse Bonmot wird man genug Beispiele finden, auf die es passt. Aber es triff nicht schlechterdings auf alle zu. Es gibt auch Menschen, die nett sind, weil sie es für richtig halten, nett zu sein, anderen Menschen nicht nur keinen Schmerz zuzufügen, sondern diesen zu lindern oder ihnen gar Gutes oder einen Gefallen zu tun. Gerade angesichts des Umstandes, dass schierer Egoismus und rüpelhafte Rücksichtslosigkeit sich heute gerne das Mäntelchen der „Freiheit" umhängen, auf die man ein von wem auch immer verbrieftes Recht habe, ist es notwendig, daran zu erinnern, dass es nicht nur „Menschenrechte" gibt (zu denen 200 km/h auf der Autobahn übrigens nicht zählt), sondern auch „Menschenpflichten".
Als anthropologische Großtheorie ist das vermutlich nicht haltbar, aber ich würde gerne die Hypothese aufstellen, dass die meisten Menschen ganz gut zwischen Gut und Böse zu unterscheiden wissen. „Breaking Bad" bedeutet auch: Beschiss am eigenen Über-Ich. Man muss sich selbst einreden, dass die Schweinereien, die man verursacht oder in Kauf nimmt, aus irgendwelchen fiktiven Gründen okay sind. Das führt notwendig zu Formen der Selbstverhärtung — und irgendwann macht man ein Gesicht wie Mikl-Leitner.
Ihr Klaus Nüchtern
Soeben ist der jüngste Roman der wunderbaren Schottin A.L. Kennedy erschienen: Er heißt „Als lebten wir in einem barmherzigen Land" und erscheint aus mysteriösen Gründen als erstes in deutscher Übersetzung. Erzählt wird die Geschichte der Grundschullehrerin Anna, die während des Lockdowns versucht, weiterhin einen guten Job zu machen. Anna, Mutter eines fast erwachsenen Sohnes, hat in den 1980ern einer anarcho-clownesken Performance-Gruppe angehört, die für die streikenden Bergarbeiter und gegen nukleare Hochrüstung auftrat. (Der Plot ist kompliziert, um nicht zu sagen: verstiegen). Als Sammelbegriff für die Angehörigen all jener unnetter Menschen, die sich gerade bemühen, Großbritannien in den Abgrund zu führen, hat Anna – frei nach den Gebrüdern Grimm – „Stilzchen" gewählt. „Stilzchen", so meint sie einmal „lassen einen vergessen, dass Katastrophen nicht immer notwendig sind. Frieden kann einfach Frieden sein und nicht die Anspannung vor dem nächsten, schlimmeren Schmerz." Ich finde, das ist ein bemerkenswerter Gedanke.
Am 16. März ist der große britische Jazzmusiker, Klarinettist und Saxofonist Tony Coe von uns gegangen. Ein glänzender Stilist hat Coe auch einiges für musikalischen Schabernack übrig, wie er – gemeinsam mit Lol Coxhill und Steve Beresford – in dem Trio The Melody Four unter Beweis stellte. Hierzulande war Coe nicht zuletzt als Mitglied von Franz Koglmanns Monoblue Quartet bekannt. 2003 hat es für das Album „L’Heure Bleue" den wundervollen Reggae „It Isn’t Easy" eingespielt – Coe ist am Tenorsaxofon zu hören.
In meiner Eigenschaft als Musikproduzent und Betreiber des Labels Handsemmel Records ist es mir eine Freude, das jüngste Projekt ankündigen zu dürfen. Der Saxofonist, Klarinettist und Komponist Leo Skorupa hat mit Asja Valcic (cello), Michael Moore (reeds), Robert Landfehrmann (b) und Michael Vatcher (dr) vier hochkarätige Musiker:innen um sich versammelt; als Quispel Quintet werden sie gemeinsam auf den Spuren des Cool Jazz sowie durch das gigantische Roman-Labyrinth des niederländischen Schriftsteller A.F.Th. van der Heyden wandeln. Und, ja genau: Quispel spielt auf Ernst Quispel an, dem Anwalt und Quartalsäufer aus dem Roman „Der Anwalt der Hähne". Wenn Sie Zeit haben, hören Sie sich das Konzert im Porgy & Bess doch an. Davor gibt es übrigens auch Auftritte in Klagenfurt und Graz.
Wie es sich anhört, wenn eine der besten Jazzsänger:innen der Gegenwart, Cécile McLorin Salvant, einen Ausflug ins Mittelalter und die Frühe Neuzeit unternimmt, um den Melusine-Mythos auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen, kann man auf ihrem Album „Mélusine" nachhören. Eine animierte Version des aus dem 17. Jahrhundert stammenden Song „D'un feu secret" können Sie hier anhören und -sehen, ein Porträt der Künstlerin hier nachlesen.
Verstecktes Wien
Die Wiener Durchhäuser stellen sowohl eine historische wie auch architektonische Besonderheit dar, sind vielfach mit romantischen Innenhöfen versehen und werden von den Bewohnern gerne als Schleichwege und Abkürzungen genutzt. Zusammen mit charmanten versteckten Hinterhöfen und kleinen, stillen Gassln bilden sie geheime Pfade zu diesen versteckten Juwelen Wiens.
Legenden, Anekdoten und die beeindruckenden Fotos machen Lust auf das Erkunden dieser einmaligen Kleinode und Farbtupfen im Grau der Großstadt.
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