Die Angst vor dem Schulausflug - FALTER.maily #1108
"Ich habe mich so gefreut, als die Stadt bekanntgegeben hat, ab Herbst bekommen auch Schülerinnen und Schüler in unserer Schule ein ...
Diese Woche ging ich zum Teufel. Georg Baselitz, der dirty old man der zeitgenössischen Malerei, ist im Kunsthistorischen Museum (KHM) zu Gast. Er bekam eine Carte blanche: Unter dem Titel „Nackte Meister“ stellt Baselitz eigene Akte entblößten Helden und Göttinnen der hauseigenen Sammlung gegenüber.
„Frauen malen nicht so gut wie Männer“, sagte er 2013 in einem Spiegel-Interview. Malerfürst ist das harmloseste Label, das an Baselitz klebt. Eindringliche Warnungen stieß die Kunsthistorikerin Nina Schedlmayer in ihrem Blog Artemisia aus. Der Maler trete mit seinen Werken im KHM auf nach dem Motto: „Ich hab den Größeren!“. Auch Falter-Kollegin Nicole Scheyerer attestierte dem Großkotz ausgeprägte Männlichkeit: „Der mit dem Phallus malt.“
Gehe ich also mit einem im Kopf zurechtgelegten Cancel-Befehl ins Museum und was sehe ich: ein Fest der Farben und Formen. Das Vorurteil kippt in Enthusiasmus. Ich lerne einen Künstler kennen, der gleichermaßen gegen Sozialistischen Realismus wie gegen den Abstrakten Expressionismus polemisiert. Und der sich über Marcel Duchamp lustig macht. Die Abneigung gegen den Gott der Neo-Avantgarde erscheint mir verständlich, denn seine Anhänger verbannen Pinselprolls wie Baselitz aus den supergescheiten – und Prestige versprechenden – Zirkeln der Concept Art.
Dabei liefert Baselitz genug Konzept. Anders als Tizian und Rubens verwandelt er Frauenkörper keineswegs in Objekte männlichen Begehrens. Die Figuren lösen sich im Laufe der Werkentwicklung immer mehr in melancholische Geister und heitere Aliens auf. Baselitz dekonstruiert das Erbe der Malerei, indem er die Porträtierten auf den Kopf stellt – und so das Sehen zum Gedankensprung macht.
Die in dem bereits erwähnten Spiegel-Interview fehlende Malfähigkeit von Frauen war eine Polemik, deren dialektische Volte zitiert werden soll. Baselitz führte den Mangel auf ein Übermaß an Begabung zurück, die bei der Zertrümmerung von Konventionen im Weg stehe: „Männliche Künstler sind oftmals an der Grenze zum Schwachsinn, eine Frau sollte das möglichst nicht sein." Das eine Klischee wird durch das andere nicht besser, aber es verrät die Lust an der Provokation. Für eine billige Pointe würde Baselitz seine Muse opfern.
Vielleicht braucht es so eine Klaue, um das KH-Mausoleum aufzurütteln. Die eher braven, chronologisch gehängten Werkreihen, die dort bisher von zeitgenössischen Künstlern zu sehen waren, haben das nicht wirklich geschafft. Kurator:innen mögen an ihrer Subtilität gemessen werden. Künstler:innen hingegen sind manchmal dann am besten, wenn sie zur Axt greifen.
Gut, die Saaltexte sind schlecht und offensichtlich bekam das Museum vom Galeristen viel Geld, um Platz zu machen. Außerdem stellt sich die Frage, warum das KHM Baselitz-Festspiele macht, wo er doch Stammgast in der benachbarten Albertina ist. Aber was soll's. Der Mann wurde im Jänner 85 Jahre alt. Grund genug, dem streitbaren Ölbaron einmal die große Bühne zu überlassen. Nachträglich Happy Birthday, Motherfucker!
Ihr Matthias Dusini
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