Nie mehr Schule - FALTER.maily #1103
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen aus meinem Kärntner Jugendzimmer. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich heute wie damals nichts als Wälder ...
Haben Teile der SPÖ einen blinden Fleck bei Putins Regime? Ja. Vorgestern trat David Stockinger, der Chef der SPÖ-Schwechat, zurück, weil er in einer NKWD-Uniform posierte, eine Mordbrigade Stalins. Zuvor hatte er sich auf die Seite des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko geschlagen, der in Minsk die Opposition zusammenprügeln lässt.
Der Rücktritt platzt in die Ukraine-Posse der Roten. Vorvergangene Woche, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem österreichischen Nationalrat (und dem Bundespräsidenten) sprach, fehlten bekanntlich neben vielen Regierungsmitgliedern und den traditionell Putin-affinen Freiheitlichen (sie haben einst einen Pakt mit Putins Partei "Einiges Russland" abgeschlossen und sich von Putinisten mutmaßlich bezahlen lassen) auch 22 Abgeordnete der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner inklusive.
Wir hatten die Abgeordneten befragt, worin die Gründe ihres Fehlens lagen. Viele antworteten mit teils vorgefertigten Textbausteinen samt Rechtschreibfehlern: "War nur eine Veranstaltung von Sobotka". Die Abgeordnete Petra Tanzler, im Zivilberuf immerhin Schuldirektorin (!) und Mitglied der Bildungsdirektion NÖ, antwortete, die Rede eines "kriegsführenden Staatschefs, der Kriegspropaganda betreibt, die Gewerkschaften in seinem Land bekämpft und Streu- und Phosphatbomben auf Unschuldige abwerfen lässt, hat in einem Parlament eines sich zur Neutralität bekennenden Landes nichts zu suchen". Ich fragte Tanzler, woher sie diese Information mit den "Phospatbomben" (sic!) habe. Tanzler antwortete bis heute nicht. Ich lege ihr dieses exzellente Buch ans Herz.
Während in Deutschland eine Selenskyj-Rede ein Staatsakt wurde, wie die SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit in diesem Podcast ausführt, verkommt er bei uns zur Posse. Offenbar sieht kaum einer in der SPÖ, dass es hier nicht um den ukrainischen Präsidenten oder Sobotka geht, sondern um eine Solidaritätsadresse mit einem terrorisierten europäischen Volk.
Es ist eine merkwürdige Melange aus Sowjet-Nostalgie, Anti-Amerikanismus und einer fehlenden Empathie mit der Zivilgesellschaft und der Freiheitsbewegung in ehemaligen Sowjet-Republiken und Oststaaten, die da sichtbar wird. Es rächt sich, dass viele Linke offenbar nie Václav Havel gelesen haben. Ein rotes Sternderl am Revers, ein bisschen Sowjet-Schick dort: Genau da grätscht auch die perfekt geschmierte Putin-Propagdanda hinein, die Russland immer noch als Opfer des kapitalistischen Westen framed, als ob es nicht Putins Verbrecherbanden waren, die das Land ausplünderten. In der SJ war das bis vor kurzem anschlussfähig (wie Hugo Chávez-Verehrung und Fidel Castro-Kitsch).
Einer der wenigen Sozialdemokraten, die diese Verwirrung klar beim Namen nennen, ist der Diplomat Wolfgang Petritsch. Es sei "unerträglich, sich hier nicht klar zu positionieren", sagte er erfrischend undiplomatisch. Vielleicht wäre es ja an der Zeit, dass die SPÖ Neutralitätspolitik neu definiert. Oder zumindest einen linken Intellektuellen wie Robert Misik damit beauftragt, in Wien eine große Konferenz ukrainischer Intellektueller und russischer Dissidenten zu organisieren - vielleicht im Kreisky-Forum unter dessen Bonmot: "Lernen's ein bisserl Geschichte!". Misik hat es den Genossen hier wirklich schön reingesagt. Man sollte den Artikel in den SPÖ-Verteiler stellen und jedem SPÖ-Mitglied schicken.
Ihr Florian Klenk
Mit der SPÖ beschäftigt sich auch Herausgeber Armin Thurnher. Er stellt in seinem Kommentar des Herausgebers drei Fragen: Vorwärts wohin? Woher? Und: Kann man eine Programmdebatte führen, ohne über die politische Grundverfassung unserer Zeit zu reden? Seinen Text lesen Sie hier.
Diese Woche sprechen wir mit zwei bedeutenden Politologen. Barbara Tóth interviewt Anton Pelinka, 81, über die Krise der Großparteien und die Verkickelung der ÖVP. Auch Julia Ebner, 31, ist eine Forscherin der Stunde. Gerade hat sie ihr neues Buch "Massenradikalisierung" vorgelegt. Undercover erforschte sie, wie Querdenker, Verschwörungstheoretiker und Extremisten in die gesellschaftliche Mitte vordringen. Unsere London-Korrespondentin Tessa Szyszkowitz hat Ebner in London getroffen. Das Porträt lesen Sie hier.
Wussten Sie, dass bei der Gründung von Heute in den Dienstverträgen der Redakteurinnen und Redakteure ein Passus im Vertrag stand, wonach für eine Gratiszeitung eine "wohlwollende PR-Berichterstattung der jeweiligen Inserenten für den wirtschaftlichen Erfolg unerlässlich" sei? Wenn nicht, empfehlen wir Ihnen die aktuelle Geschichte von Barbara Tóth und Josef Redl über die Zeitung, die zum Korruptionsfall geworden ist. Und in seiner aktuellen Podcast-Folge kommt natürlich auch Florian Scheuba darauf zu sprechen, er interviewt dazu den Medienforscher Fritz Hausjell.
„Kein Applaus für Scheiße“ hieß 2011 eines ihrer ersten Stücke. Eh nicht: Die Wiener Choreographin und Performerin Florentina Holzinger arbeitet so konsequent wie eindrucksvoll an der Erweiterung dessen, was unter dem Begriff „Tanz“ möglich ist – und begeistert inzwischen international ein großes Publikum. Für ihr neues Stück „Ophelia’s Got Talent“ schwebt nun ein Hubschrauber im Volkstheater, und auf der Bühne steht ein riesiger Wassertank. Sara Schausberger und Gerhard Stöger haben die 37-Jährige zu einem Gespräch über Liebe, Sex und Zärtlichkeit getroffen. Nathalie Großschädl weiß, was die erste Wien-Ausgabe der Nachhaltigkeitsmesse WeFair bringt; unsere Fotostrecke „Leuchtkasten“ stellt den tollen Bildband „Taxi Drivers“ von Klaus Maria Einwanger vor; und weiter hinten im Blatt finden Sie wie immer Termine, Termine, Termine, ergänzt um aktuelle Rezensionen und Ausgehtipps.
Haben Sie schon die erste Folge der zweiten Staffel von "Klenk+Reiter" gehört? Wir beschäftigen uns damit, wieso man beim Bärlauch-Suchen sterben kann, warum sie sich keine Spirituosen schenken lassen und welche Almpflänzchen sie besser nicht berühren sollten. Am Donnerstag sind Reiter und ich bei Barbara Stöckls Talkshow zu Gast. Ernst Molden hat zum Podcast einen feinen Soundtrack komponiert. Sie können ihn hier erwerben.
Gibt es in der Kunstwelt noch Solidarität?
Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Gruppenausstellung „No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection“, die in der Kunsthalle Wien Museumsquartier am 20. April um 19 Uhr eröffnet.
Zu sehen sind Werke von zeitgenössischen Künstler*innen wie Elfie Semotan, Brook Andrew oder Iman Issa in Kombination mit Werken von Picasso, Alex Katz, Sol LeWitt, Meret Oppenheim uvm. aus der einzigartigen Sammlung des MoCA Skopje.