Geiseln und Diplomatie - FALTER.maily #1063

Lina Paulitsch
Versendet am 12.04.2023

Vor einigen Tagen telefonierte ich mit einer Freundin. Ihre Mutter kommt aus dem Iran, sie selbst trat dort immer wieder als Pianistin auf. Die Großeltern leben dort, ebenso Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Als ich ihr von der Geschichte des Austro-Iraners Mehdi Kazemi erzählte, dessen Geschichte ich in diesem Porträt aufschrieb, wurde sie stumm. Drei Monate Folter, eine Scheinhinrichtung, dann die filmreife Flucht. 

Kazemi war nicht zufällig von den iranischen Behörden verhaftet worden. Amnesty International geht davon aus, dass er als Geisel gehalten wurde, um politischen Druck auf Österreich auszuüben. Ob sie sich der großen Gefahr bewusst sei, die für ihre Mutter als Doppelstaatsbürgerin bestehe, wollte ich von meiner Freundin wissen? Nein, antwortete sie. 

Tatsächlich warnt das österreichische Außenministerium vor Reisen in den Iran. Bei Exil-Iranern, meist Doppelstaatsbürgern, kann Österreich keinen Schutz bieten – das Regime sieht sie als Bürger der Islamischen Republik. “Teheran fährt derzeit eine gezielte Strategie”, sagt der Menschenrechtsexperte Homayoun Alizadeh. Um seine eigenen Gefangenen in Europa freizupressen, nehme es ausländische Staatsbürger fest.

Ein prominenter Fall ist der Belgier und humanitäre Helfer Olivier Vandecasteele, der seit Februar 2022 in einem iranischen Gefängnis sitzt. Teheran möchte ihn gegen einen Diplomaten namens Assadollah Assadi eintauschen, der in Belgien wegen Terrorismusvorwürfen zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. 2021 hatte Assadi versucht, iranische Oppositionelle mit Sprengstoff zu töten. Zuvor war er Botschafter in Wien. Das belgische Verfassungsgericht machte jetzt den Weg für den Gefangenenaustausch mit Vandecasteele frei.

Der Iran-Deal Belgiens ist umstritten. Kritiker sagen, das Regime werde regelrecht zu Verhaftungen motiviert, wenn ein solcher Tauschhandel funktioniere. Frankreich versucht es teilweise erfolgreich mit rhetorischem Druck. Fariba Adelkhah, französisch-iranische Forschungsleiterin an der Pariser Universität Sciences Po, kam vor einigen Wochen unerwartet frei.

Auch das heimische Außenministerium müsste bestimmter auftreten, sagt Stephanie Krisper, Abgeordnete zum Nationalrat der NEOS. Auch als Zeichen der Unterstützung der im Iran protestierenden Bevölkerung. „Österreich zählt generell nie zu den mutigsten Ländern“, so Krisper. „Als Austragungsort der Atomverhandlungen mit dem Iran erst recht nicht.“

Mehrere österreichische Geiseln sitzen aktuell in iranischen Gefängnissen. Etwa der Geschäftsmann Kamran Ghaderi, dessen Frau seit sieben Jahren um seine Freilassung kämpft. Ihm wird Auslandsspionage vorgeworfen. 

Das Außenministerium, so Oppositionspolitikerin Krisper, sollte nicht länger hinter den Kulissen agieren, sondern mittels öffentlicher Stellungnahme die Freilassung Ghaderis fordern. „Man sollte Engagement zeigen wie andere Länder.“ 

Eine einfache Lösung gibt es nicht. Der Iran schert sich wenig um Druck von außen, die Repressalien gegen die Bevölkerung werden immer brutaler. Niemand solle in den Iran reisen, auch nicht, um die Familie zu besuchen, empfiehlt der Menschenrechtsexperte Alizadeh. „Das Regime macht, was es will.”

Ihre Lina Paulitsch


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