Jan Vermeer Superstar - FALTER.maily #1107
Eine Ausstellung der Superlative ist am vergangenen Sonntag zu Ende gegangen: Die größte Werkschau aller Zeiten mit Bildern des ...
Sie haben es bestimmt mitbekommen: Vorige Woche hat Karl Nehammer Experten und Vertreter der Industrie zu einem "Auto-Gipfel" ins Bundeskanzleramt eingeladen. Nehammer hat danach gesagt, er will "in Brüssel Druck aufbauen gegen Denkverbote." Das ist schon sehr flach, gerade für einen Gipfel.
Vielleicht haben Sie sich gefragt, woher das plötzliche Interesse des Kanzlers für Autos überhaupt kommt. Ich kann Sie dahingehend beruhigen: Dieses Interesse gibt es gar nicht. Karl Nehammer gibt gerade eine Vorstellung in Sachen PR. Ich bin mir nicht sicher, ob das in die Kategorie "Strategisch Notwendiger Unsinn", kurz: SNU, fällt.
ÖVP-Kommunikationsberater Gerald Fleischmann nennt so Pseudo-Themen, die vom Kanzleramt nur zu dem Zweck kommuniziert wurden, um von unangenehmen Themen abzulenken. Karl Nehammers bisheriges Politikerleben bestand aus einer ganzen Reihe von unangenehmen Themen: Vom Behörden-Versagen im Vorfeld des Anschlages in Wien, über die zahlreichen ÖVP-Korruptionsskandale, das Sauf-Gelage mit den Personenschützern bis hin zum Corona-Management und zur Teuerung. Immer nur negativ, immer nur reaktiv.
Also hat das Team des Bundeskanzlers überlegt, wie man das umdrehen, ein "Momentum" erzeugen kann. Und es war recht einfach. Man muss dazu nur wissen, wie Medien funktionieren – und man darf keine Skrupel haben, sie zu manipulieren.
Als erstes hat das Kommunikationsteam angekündigt, dass der Kanzler (bzw. der ÖVP-Parteichef) eine "Rede zur Lage der Nation" halten wird. Das ist aus Sicht der Medien relevant, weil in der Logik der Medien beinahe alles, was ein Regierungschef sagt und tut, relevant ist. Völlig egal, zu welchem Thema: Alleine die Ankündigung der Rede lässt Nehammer im Unterbewusstsein der Medienkonsumenten aktiv und initiativ erscheinen. Und: Alleine die Ankündigung der Rede füllt etliche Zeitungsseiten und Sendeminuten, die sonst möglicherweise für unangenehme Themen verwendet worden wären.
Das ist ein simpler Verdrängungsmechanismus.
Über die Rede selbst wird dann natürlich auch umfassend berichtet. Und jetzt kommt der zweite Schmäh: Nehammer hat in seiner Rede tausend verschiedene Themen angesprochen. Sie waren in erster Linie eines: Testballons. Eine Versuchsanordnung in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie: Welches Thema funktioniert nach der Logik der Social Media-Algorithmen als Aufreger? Wo sind sowohl Zustimmung als auch Ablehnung möglichst groß? Und am besten noch ein Konflikt mit dem Koalitionspartner von den Grünen programmiert? Bingo: Der Verbrennungsmotor!
Karl Nehammer wird nicht beeinflussen, wie das Auto der Zukunft angetrieben wird. Aber er kann beeinflussen, worüber in diesem Land debattiert wird. Er hat dafür gesorgt, dass Journalisten, Wissenschafter, Politiker und Industrielle Hunderte Stunden an Zeit für eine Scheindiskussion über den Verbrennungsmotor verschwendet haben.
Man kann Karl Nehammer gratulieren, dass ihm der PR-Stunt gelungen ist.
Man sollte sich allerdings auch vor Augen führen, dass er seine Energie auch für die Bewältigung echter Probleme einsetzen hätte können.
Ihr Josef Redl
Die KPÖ konnte in Salzburg 11 Prozent der Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen und viele Menschen (vor allem auf Twitter) wundern sich darüber. Die Frage, warum dabei niemand irritiert scheint, dass nicht nur die Nachfolgerpartei des Stalinismus, sondern auch die indirekte Nachfolgerpartei der NSDAP punkten konnte (und zwar doppelt so hoch), hat Armin Turnher in seiner ausnehmend lesenswerten Seuchenkolumne aufgeworfen.
Um sich ein Bild des erfolgreichen KPÖ-Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl zu machen, sei Ihnen nochmalig Nina Horaczeks Porträt aus dem aktuellen FALTER angetragen.
Im FALTER-Podcast hören Sie aktuell eine Wiener Vorlesung der Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak zum Thema der Kommunikation in Zeiten multipler Krisen. Zum Anhören, bitte hier entlang.
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