Kandidat Staatsmann - FALTER.maily #1106
Der neue SPÖ-Chef Andreas Babler hat eine große Aufgabe vor sich. Er muss als Obergenosse die Partei neu erfinden und breit aufstellen und ...
Harry Belafonte war ein Gigant, ein unermüdlicher Fighter und Bürgerrechtsaktivist der ersten Stunde. Er besaß ungeheures Charisma, eine Autorität der nobelsten Art. Er hat einen weiten, unfassbaren Lebensweg zurückgelegt, aus dem Armenviertel Harlem zum gefeierten Weltstar.
Die Anfänge seiner Karriere als Sänger und Schauspieler lagen im New York der 1940er-Jahre, wo er am Workshop des deutschen Emigranten Erwin Piscator erste Bühnenerfahrung sammelte. Zwei wichtige Inspirationsquellen für Belafonte: als Sänger der große Paul Robeson, als Schauspieler das damals sogenannte American Negro Theater. Und seine von Jamaica nach New York immigrierte Mutter soll ihm schon als Bub eingeschärft haben: "Es gibt nichts auf der Welt, das du nicht erreichen könntest." Und sie behielt Recht damit.
Wut und Ehrgeiz trieben den Autodidakten Belafonte an. Selbst als er im Zweiten Weltkrieg die Uniform seines Landes trug, behandelte man ihn als Mensch zweiter Klasse. Er studierte die Schriften des Schwarzen Soziologen W.E.B. Du Bois, in denen ihm ein offenbar bedeutender, weil häufig zitierter Autor unterkommt. Als die Bibliothekarin ihm erklärte, dass es niemanden namens "Ibid." (Englisch für: "Ebenda") gebe, hielt er das für eine typische Schikane.
Mitte der Fünfziger stürmte er als "King of Calypso" die US-Charts, die Titel seiner Hits sind Legende. Dabei versicherte er sich bei Schallplattenaufnahmen wie auch bei Auftritten in Film und Fernsehen größtmöglicher Autonomie. Er gründete seinen eigenen Musikverlag und eine Filmfirma (HarBel), die mit dem großartigen Film noir "Odds Against Tomorrow" (Regie: Robert Wise, 1959) eine der ersten Hollywoodproduktionen realisierte, die das Thema Rassismus ernsthaft anpackten.
Doch die rund 40 Filme, in denen Belafonte mitwirkte, die Millionen verkaufter Schallplatten und, später im Leben, die Grammys und ein Emmy und der Ehren-Oscar, waren für ihn stets nur ein Mittel zum Zweck – seiner Stimme im Kampf für eine gerechtere Welt mehr Gewicht zu verleihen. Immer wieder riskierte er dafür buchstäblich Kopf und Kragen.
So im September 1967. Harry Belafonte ist zusammen mit Martin Luther King unterwegs, um Spendengelder für die Bürgerrechtsbewegung zu sammeln. Er singt in Oakland, dann in Houston, schließlich in Baltimore. Dort fällt ihm ein Polizist vor seiner Garderobe auf. Einer von den Typen, die absolut keinen Spaß verstehen. "He wasn’t just white", so Belafonte. "He was blue-white."
Spätabends im Hotel überreicht der Portier dem Entertainer ein Kuvert, in dem sechs Patronen und ein Brief stecken: "Ich schicke sie Ihnen", heißt es da, "weil ich sie nie benützen werde. Als ich Dr. King und Sie heute Abend hörte, wurde mir klar, dass ich bis jetzt der falschen Seite gedient habe. Ich sollte in Ihren Reihen marschieren." Die Patronen und der Brief bewahrte er als Andenken an diese bewegten Zeiten bis zuletzt auf.
"My Song", die Memoiren, die Harry Belafonte (zusammen mit Michael Shnayerson, Redakteur von Vanity Fair) 2011 verfasst hat, ist voll solcher Geschichten. Es ist die hochspannende politische Biografie des großen Entertainers, die darin zunehmend Kontur gewinnt und einem größten Respekt abverlangt. Er wurde zu einem von Martin Luther Kings engsten Vertrauten; selbst Präsidenten fragten ihn um seinen Rat, Bobby Kennedy und viele andere befolgten ihn.
Wie langsam sich die Integration selbst im privilegierten Showbusiness vollzogen hat, lassen Vorfälle wie jener aus dem Jahr 1968 erahnen, als der Sponsor einer TV-Show darauf bestand, eine Einstellung wieder herauszuschneiden: Die weiße Sängerin Petula Clark hatte darin Belafontes Arm berührt.
2004 zog sich Harry Belafonte von der Bühne zurück, doch für die gute Sache warf er seine immense Popularität bis ins hohe Alter noch in die Waagschale. So produzierte er 2016 einen Kurzfilm gegen Polizeigewalt auf Amerika Straßen, "Against the Wall": Michael B. Jordan, die Künstlerin Sophia Dawson oder Belafontes alter Kampfgefährte Danny Glover stellen sich darin nacheinander an eine Wand – den Blick in die Kamera gerichtet, wortlos, während im Polizeifunk ständig neue Beschreibungen "verdächtiger Subjekte" durchgegeben werden.
Aus dem Off hört man Sirenengeheul, dann Harry Belafontes heisere, unverkennbare Stimme, die sagt: Unfälle passieren, ein-, zweimal kann es Zufall sein, aber wenn so viele junge Menschen auf der Straße ermordet werden, vor allem Schwarze Menschen und solche, afroamerikanischer Herkunft, dann ist das kein Zufall mehr – "ich glaube, da ist jemand, der uns eine Botschaft sendet, und auf diese Botschaft sollten wir reagieren".
Gestern ist Harry Belafonte, kurz nach Vollendung seines 96. Lebensjahres, in Manhattan gestorben. Mit ihm hat die Welt eine ihrer bedeutendsten Stimmen verloren.
Ihr Michael Omasta
"Odds against tomorrow" können Sie derzeit in voller Länge auf Youtube sehen. Wer weiß, wie lange, also zögern Sie nicht.
Den beklemmenden Kurzfilm (03:51 min) "Against the Wall" können Sie über die Videoplattform Vimeo abrufen.
Als Hommage an Harry Belafonte ändert der deutsch-französische Sender ARTE sein Programm für Freitagabend und zeigt den Dokumentarfilm "Harry Belafonte. Zwischen Calypso und Gerechtigkeit". In der ARTE-Mediathek können Sie den Film schon jetzt sehen.
Wenn Sie in Belafontes musikalisches Schaffen eintauchen möchten; Spotify stellt den Künstler in dieser knapp dreistündigen Playlist vor.
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