Die Angst vor dem Schulausflug - FALTER.maily #1108
"Ich habe mich so gefreut, als die Stadt bekanntgegeben hat, ab Herbst bekommen auch Schülerinnen und Schüler in unserer Schule ein ...
Echte Wienerinnen wissen: Fiaker fährt mal nur einmal, wenn die Kinder echt quälen und dann nie wieder. Kutschen sind als Fortbewegungsmittel zu unbequem und langsam, also wozu. Auch der britische König Charles III. wäre schneller, wenn er am Samstag zur Krönung vom Buckingham Palace zur Westminster Abbey zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren würde. In der wegen der ständigen Proben mit Prunksoldaten und Prinzen abgesperrten Innenstadt ist seit Tagen kein Durchkommen mehr.
Aber so woke ist der 74-jährige Charles nicht. Mit der richtigen Krönungskutsche, die seit 1831 im Einsatz ist, fährt er allerdings nur auf dem Rückweg zurück von der Kirche in seinen Palast. Seine Mutter Elizabeth hat ihn gewarnt, die Gold State Coach sei "schrecklich" unbequem. Total schlecht gepolstert. Damit er nicht schon mit schmerzendem Rücken in der Abbey eintrifft, nimmt der König deshalb auf dem Hinweg die schnittigere schwarze Diamond Jubilee State Coach. Die ist eine Mogelpackung: Sieht alt aus, wurde aber erst 2010 fertiggestellt und kommt voll klimatisiert und mit elektrischen Fensterhebern.
Nicht, dass der König Air condition brauchen wird. Am Wochenende ist, wenig überraschend, klassischer Londoner Dauerregen angesagt. Auch sonst brauchen Sie den Fernseher nur dann aufdrehen, wenn Sie nichts Neues wissen wollen. Charles und Camilla sehen immer noch alt aus. Prinz William und Catherine ebenso, obwohl der Thronfolger erst 40 ist. Dafür sind die Kinder süß. Prinz George ist jetzt schon neun. Bis erst sein Papa und dann er auf den Thron steigen, dauert es wohl noch ein paar Jahrzehnte. Ob die Welt dann noch steht, ist schwer zu sagen. Hauptsache die Untertanen wissen, dass die Thronfolge bis Ende des 21. Jahrhunderts gesichert ist.
Wozu das gut sein soll, wissen immer weniger Briten. Besonders die Jungen sind eher so la-la, wenn es um die konstitutionelle Monarchie geht. 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen würden sich ihr Staatsoberhaupt lieber selbst wählen. Die fehlende Begeisterung fußt nicht nur in demokratischer Gesinnung. Charles gibt sich zwar naturnah und umweltbewusst, aber die königliche Familie hat mit 3810 Tonnen CO2 pro Jahr einen wahrlich königlichen CO2-Fußabdruck. Man reist halt meist in Privatjets oder Hubschraubern. Da macht es auch wenig Unterschied, dass Autonarr Charles einen seiner Aston Martins mit Biobenzin befüllt.
Seit Black Lives Matter 2020 die Welt aufrüttelte, nützt es auch nichts mehr, dass Charles und seine Familie bei Commonwealth-Events neben schwarzen Mitgliedern dieses weitgehend nutzlosen Verbandes ehemaliger Kolonien immer ganz besonders herzlich dauerlächeln. Das Britische Empire und der Sklavenhandel sind jetzt Gegenstand neuer Enthüllungen. Die Dramatikerin Desirée Baptiste erzählte mir, sie sei bei den Nachforschungen für ihr Stück "Vorfälle im Leben einer englischen Sklavin, von ihr selbst aufgeschrieben" auf einen Brief gestoßen, der belegt, dass Charles' Vorfahre Edward Porteus 1686 eine Schiffsladung von mindestens 200 Sklaven für seine Tabakplantage in Virginia entgegennahm.
Baptiste meint: "Eine Entschuldigung würde schon dabei helfen, die Wunden zu heilen." Charles und William haben jetzt schon mehrfach versucht, Jamaika und andere Ex-Kolonien davon abzuhalten, sich demnächst zur Republik zu erklären. Sie drückten ihren "tiefen Kummer" darüber aus, dass die dumme Sache mit dem Sklavenhandel passiert ist. Dass das Britische Empire im 17. und 18. Jahrhundert praktisch darauf basierte, dass britische Schiffe leer nach Afrika fuhren, dort Sklaven einluden, sie in der Karibik auf Plantagen abgaben, die zum Teil im britischen Besitz waren und mit Zucker und anderen Produkten wieder nach England zurückfuhren, das schreit allerdings nach ein bisschen mehr als dem Ausdruck des Kummers. Eine Entschuldigung wäre angebracht. Kompensation auch. Bildung sei dabei das Schlüsselwort, sagt Baptiste: "Die Geschichte der transatlantischen Sklaverei sollte ein essenzieller Bestandteil des Lehrplans in britischen Schulen werden."
Klingt alles nicht unvernünftig. Erst einmal aber werden alle politischen Skandale in triefendem Krönungskitsch erstickt. Und das Recht auf demokratischen Protest gleich mit. Damit Charles nicht von einem der 1500 Aktivisten der Gruppe Republicans am Samstag statt einer Krone ein faules Ei aufs Haupt bekommt, hat Charles III. noch schnell am Dienstag den von seiner konservativen Regierung erdachten verschärften Sicherheitsgesetzen seinen Royal Assent gegeben. Das dürfte einem der geladenen Gäste besonders gut gefallen. Weil sein Boss Xi Jinping nicht konnte, reist sein Stellvertreter zur Krönung an. Han Zheng war für den Crackdown der Hongkonger Demokratieproteste verantwortlich. Wer den öffentlichen Frieden stört, kann jetzt künftig auch in Großbritannien ein Jahr im Gefängnis landen.
Es gibt aber gar keinen öffentlichen Frieden im Vereinigten Königreich mehr. Die Krankenschwestern streiken seit Monaten, weil die Inflation bei zehn Prozent liegt, die konservative Regierung aber nur fünf Prozent Lohnerhöhung angeboten hat. Deshalb können sich ausgerechnet jene, die das Land durch die Covidpandemie gebracht haben, jetzt nicht mal mehr die U-Bahn zum Arbeitsplatz leisten.
Der britische König hätte es wie der Schwede machen und einfach auf seine Krönung verzichten können. Carl Gustav regiert seit 1973 und ließ sich bloß vor seinem Kabinett einschwören. Dafür sangen Abba bei seiner Hochzeit. Für Charles Krönungskonzert am Sonntag dagegen hagelte es Absagen. Adele und Ed Sheeran, ja sogar Elton John hielten es für schwer vertretbar, ihrem König ein Ständchen zu singen.
Die über 100 Millionen Euro, die Charles den britischen Steuerzahlern für seine Coronation-Party aufbürdet, hätte man lieber den Krankenschwestern geben sollen. Oder wenigstens die Kutschen für ein Wochenende. Und ein paar tausend Polizisten als Geleit, damit sie es bis ins Spital schaffen. Einmal Kutsche, bitte!
Ihre Tessa Szyszkowitz
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Immer noch klug: Liz Truss, 1994, als sie dazu aufrief, die Monarchie abzuschaffen.
Der britische Comedian Künt und seine Band haben sich anlässlich der Krönung in The Crown Jewels umbenannt und bieten mit ihrem Hit "Scrap the Monarchy" einen Song, der es noch bis zum Eurovision Song Contest in Liverpool schaffen könnte.
Hier sehen Sie, was die Glasgower Fußballfans von Celtic von der Coronation halten.
Und für echte Royalfans, die nach London fahren und den Eid auf den König nicht allein vor dem Fernseher, sondern lieber im Kreis anderer Monarchisten leisten möchte, bitte hier lang. Es gibt Screens im Hydepark für die Krönungshow.
Das Königshaus lädt seine Untertanen ein, die Krönung in der Familie, der Nachbarschaft oder unter Freunden mitzufeiern, im Rahmen des sogenannten "Coronation Big Lunch". Das empfohlene Gericht? Die "Coronation Quiche". Schmeckt mit einiger Sicherheit auch republikanisch eingestellten Leserinnen und Lesern, – Rezept und Videoanleitung finden Sie hier.
Im Podcast "Scheuba fragt nach.." ist diesmal die Kabarettistin Antonia Stabinger zu Gast. Mit ihr spricht Florian Scheuba über die Bühnentauglichkeit weiblicher Schwellkörper und Selbstironie-Probleme im ORF. Außerdem erfahren Sie mehr über Zudeckungsjounalismus und den Aufstieg und möglichen Fall der österreichischen Boulevard-Demokratie. Wie jede Woche unbedingt hörenswert!
Nächste Woche wählen die Studierenden ihre Vertretung in der Österreichischen Hochschüler:innenschaft. Raimund Löw hat mit den Kandidatinnen und Kandidaten über ihre Visionen für die Universitäten und darüber hinaus gesprochen.
In der neuen Folge des FALTER-Buchpodcasts ist Teresa Präauer mit ihrem neuen Buch "Kochen im falschen Jahrhundert" zu Gast, in dem sich alles ums Essen dreht. Ein Dinner unter fünf gebildeten, bürgerlich-liberalen Menschen klingt eigentlich ganz harmlos. Doch wenn es Theresa Präauer schreibt, wird es zu einer bitterbösen Gesellschaftssatire. Hier können Sie die ganze Folge des Podcast anhören!