Gemma Seestadt - FALTER.maily #1084

Klaus Nüchtern
Versendet am 08.05.2023

Selten, aber manchmal bin ich vorne dabei, fast schon Avantgarde. Seit Jahren ist für mich der Tag, an dem die Mauersegler zurückkehren, das höchste und heiligste (bewegliche) Fest im Vogeljahr. Mittlerweile ist dieses Ereignis in den Mainstream-Medien angekommen: Am vergangenen Freitag wurde es auch auf den „blauen Seiten" von orf.at vermeldet.

Wobei das öffentlich-rechtliche Informationsportal, das zuletzt zum Zankapfel heftiger medienpolitischer Auseinandersetzungen wurde, in Sachen breaking news eigentlich ein bisschen schlafmützig agierte und mit seiner Meldung zumindest ein paar Tage hinterherhinkte. Der FALTER-Vogelwart konnte den Mauersegleradvent ausnahmsweise nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit verfolgen, weil er just zur Ankunftszeit in Leipzig weilte und dort weniger mit Firmamentsmonitoring als mit dem Gastland-Auftritt Österreichs bei der Buchmesse befasst war – die entsprechende Reportage können Sie hier nachlesen. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hatte jedenfalls bereits am 17. April erste Mauerseglersichtungen gemeldet.

Erfahrungsgemäß tauchen die ersten Mauersegler in den letzten April-Tagen in der Stadt auf, mir haben sie sich heuer unüblich spät gezeigt, nämlich am 1. Mai am Rathausplatz während der Rede von Gewerkschaftspräsident Wolfgang Katzian; in der Hinsicht sind die Genoss:innen der Lüfte sehr verlässlich, und ich nehm das jetzt einmal als gutes Omen für die Sozialdemokratie.

In meiner Funktion als Verfasser der Kolumne „Vogel der Woche" für den FALTER.morgen bin ich ja vor Kurzem zurückgetreten (es wurden schlicht die Vögel knapp). Ich werde in Zukunft also meine bescheidene Präsenz auf Twitter wieder ein wenig intensivieren. Gerade jetzt ist eigentlich die beste Zeit fürs Birdwatching und auch fürs Birdlistening, denn achtzig Prozent der „Vogelbeobachtungen" basieren auf akustischen Wahrnehmungen.

Aus diesem Grund suche ich derzeit noch häufiger als sonst die Seestadt auf – ein Verhalten, das meinen Ruf als etwas verschrobener Exzentriker endgültig zementiert hat. Sobald ich anderen Menschen gegenüber meine Ausflüge dorthin erwähne, ernte ich meistens ein erstauntes „Seestadt? War ich noch nie dort", in dem circa 15% Zerknirschung und 85% Überheblichkeit à la „Dort möcht’ ich nicht einmal ang’malt sein!" mitschwingen.

Ich finde das ungerecht. Über die Qualität der dort errichteten Wohnungen vermag ich aus eigener Anschauung nichts zu sagen, aber mir scheint die Errichtung dieser Stadt an der Stadt doch ein sehr ambitioniertes Unterfangen. Den namensgebenden See finde ich sehr stimmig angelegt, er hat eine tolle Farbe und man kann in ihm auch super schwimmen.

Außerdem ist schon die Anfahrt zur Seestadt ein Erlebnis, und ich werde nicht müde werden, die erhabene Schönheit des oberirdisch geführten U-Bahntrassenbogens zwischen den Stationen Hausfeldstraße und Seestadt zu preisen. Gerne verlasse ich die U2 allerdings schon in der Station Aspern Nord, um mich vom Nelson-Mandela-Platz aus der Seestadt zu nähern, weil ich die meditativen Qualitäten von Baustellenbrachen schätze und weil auf diesem Areal verlässlich Haubenlärchen anzutreffen sind, die uns mit ihrem Singflug ergötzen.

Das eigentliche Ziel des FaVoWa ist allerdings weniger die Seestadt selbst als das nahegelegene Gebiet um den Gedenkwald und den Himmelteich. Meiner persönlichen Erfahrung handelt es sich dabei derzeit um den „hottest spot" in Sachen Birdwatchung- und -listening. Was sich hier auf sehr überschau- und -hörbarem Raum abspielt, ist unvergleichlich, da kann selbst die Lobau nicht ganz mithalten. Unter all dem Gezwitscher, Gepiepse, Geknarzel und Gekreische das Meisen, Zilpzalpe, Stare, Elstern, Eichelhäher & Co. ohnedies schon veranstalten, mischen sich seit einiger Zeit sehr vernehmlich die Rufe und Gesänge von Kuckuck, Pirol und Nachtigall sowie diverser Rohrsänger.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie laut der Gesang der märchen- und mythenumrankten Nachtigall ist, der durchaus nachvollziehbarerweise als „Schlagen" bezeichnet wird. Dezibelmäßig spielt sie damit nachgewiesenermaßen in der Liga von Staubsauger, Saxofon und Ehestreit. Die Nachtigall im eigenen Garten bereitet dem Schlaf bei offenem Fenster definitiv ein Ende.

Kaum weniger betörend, wenn auch dezenter und nicht annähernd so komplex ist der Ruf des Pirols. Im Unterschied zur unscheinbaren, in schlichtem Braun gehaltenen Nachtigall ist der Pirol in seinem monarchischen Gelb-Schwarz ausgesprochen flamboyant, nichtsdestotrotz aber ziemlich schwer zu beobachten, da er sich vorzugsweise in den hohen Kronen von Laubbäumen aufhält, ziemlich scheu und meist nur als gelber Blitz zu beobachten ist. Über die nervenaufreibenden Versuche, ein brauchbares Pirol-Foto zu schießen, kann der FaVoWa ein eigenes Lied singen, das stimmungsmäßig zwischen Elegie und Dies Irae angesiedelt ist.

Für den größtmöglichen akustischen Kontrast zum Priol sorgt im Röhricht des Himmelteichs zurzeit das Geknarre des Drosselrohrsängers. Ein Bekannter von mir ist auf die ziemlich witzige Idee verfallen, es sich als Klingelton auf sein Smartphone zu laden und setzt damit seine Umwelt in erwartbares Erstaunen.

Ihr Klaus Nüchtern


Malen mit Papageien

Daniel Richter ist einer der bekanntesten und begehrtesten deutschen Maler der Gegenwart. Wie man in Pepe Danquarts Doku „Daniel Richter" sehen kann, malt er in Gesellschaft zweier Grünzügelpapageien. Anlässlich des Kinostarts des Films hat Matthias Dusini ein Interview mit dem Pinselstar geführt.


Famose Vögel

Ein letztes Mal (versprochen!) nutze ich hier die Möglichkeit, schamlos Eigenwerbung für mein Buch „Famose Vögel" zu machen, das von Silvia Ungersböck famos illustriert wurde und morgen, Dienstag, in der Schankwirtschaft im Augarten präsentiert wird. Kommet zuhauf, kaufet, verschenket! Ich würde mit dem Buch gerne einen mörder Knödel machen, damit ich mir weiterhin mein ebenso anachronistisches wie kostspieliges Steckenpferd als Musikproduzent und Jazzlabel-Betreiber leisten kann.


Literatur-Talkshow

Noch ein Hinweis in eigener Sache. Die aktuelle Ausgabe von „Tea for Three", der Literaturtalkshow, die Daniela Strigl und ich seit bald zwei Jahrzehnten betreiben, findet am Donnerstag, den 11. Mai, statt. Zu Gast in der Hauptbücherei am Gürtel wird die Salzburger Schriftstellerin Birgit Birnbacher sein, die in diesem Frühjahr ihren wunderbaren Roman „Wovon wir leben" vorgelegt hat und mit der wir über Bücher von Douglas Stuart, Teresa Präauer und Marianne Fritz diskutieren werden.


Vogel-Musik

Als jazzigen Soundtrack zum Thema des heutigen Maily möchte ich das Titelstück aus dem Album „Conference of the Birds" (1973) des britischen Bassisten Dave Holland empfehlen. Unüblich sanftmütig an den Flöten zu hören: Anthony Braxton und Sam Rivers.

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