Worüber wir zu wenig reden - FALTER.maily #1104
Vor wenigen Wochen schrieben Florian Klenk und ich über K.O.-Tropfen im FALTER 20\/23. Mehrere Betroffene erzählten darin ihre Geschichte, ...
Stil ist fast alles. Man kann auch Anstand zu ihm sagen, vielleicht auch Würde. Neuerdings – nein immer schon – wird über Stil- und Anstandsfragen in der Politik gestritten.
Nehmen wir nur drei Fälle aus den letzten Tagen, die mir immer mehr vorkommen wie jene literarischen Letzten Tage, die Karl Kraus zu seinem Marstheater aus lauter Zitaten versammelt hat. Wobei die Gegenwart zwergenhafter erscheint als die Vergangenheit. Das Selbstvernichtungspotential der Menschheit wächst im gleichen Maß wie ihre Selbstachtung schrumpft.
Die drei Fälle also: Altjungbundeskanzler Kurz, die Werbeabteilung der SPÖ und FPÖ-Generalsekretär Schnedlitz. Damit hätten wir die Dinge so ausgewogen auf die Parteien verteilt, dass wir beinahe als ORF-Diskussionssendung auftreten könnten (einzig die Neos kommen nicht vor, die Grünen immerhin mittelbar bei der SPÖ).
Sebastian Kurz ging mit einem Medium in die Offensive, das er sehr zu schätzen scheint: dem sogenannten Hintergrunzgespräch. Dort wird kaum gegrunzt, nur hintergründig agiert. Manch sagen auch, hinterhältig agiert. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft attackierte Kurz in solcher Umgebung schon, ehe ihre Untersuchungen öffentlich bekannt geworden waren, nun versucht er weiterhin, seine Position zu verbessern, indem er ihre verschlechtert. Sein Stilmittel ist dabei das seit der Bibel beliebte „they too“ – er zeigt auf andere, die ebenfalls inseriert haben. Dass er dabei den Zweck und Art seines Inserierens unterschlägt, sein ganz persönliches Fortkommen auf Staatskosten zu verbessern, wollen wir wenigstens anmerken. Dass er weiter tut, was er pathetisch versprach, zu unterlassen, versteht sich mittlerweile von selbst: er patzt die WKStA als „manipulativ“ an.
Die Werbeabteilung der SPÖ hingegen wählte das Stilmittel der persönlichen Diffamierung, zeigte ein unvorteilhaftes Foto des grünen Vizekanzlers Kogler, schrieb darunter die Frage „Würden Sie diesem Mann ein Antiteuerungspaket abkaufen“, und verteidigte sich, als auf Twitter die Anstandswauwaus kläfften, mit dem Argument, solches hätten die Demokraten im Fall Nixons auch getan. Nur war Richard Nixon ein öffentlich überführter Gangster und Betrüger, der im Hauptquartier seiner Gegner einbrechen ließ. Kogler ist unbescholten, ihn mit Nixon gleichzusetzen, exkulpiert die Roten nicht, es macht alles nur noch schlimmer.
Die Krone gebührt aber wieder einmal FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz und seiner doppelt eingesprungenen Stilfigur der Schuldumkehr. In den Oberösterreichischen Nachrichten hatte Gerald Mandlbauer in einem Kommentar eine „Morbus Kickl“ beschrieben. Schnedlitz behauptet in einer Aussendung, das sei ein Rückfall in finstere Zeiten, hier werde gleichsam Herbert Kickl als Krankheit, als Auswuchs am Volkskörper bezeichnet, somit werde Nazidiktion gegen einen echten Liberalen verwendet. „Dass nun in einem Zeitungskommentar ein sehr erfolgreicher österreichischer Parteiobmann de facto mit einer Krankheit gleichgesetzt wird, an der Österreich leidet, erinnert an die dunkelsten Zeiten unseres Landes.“ Wahr ist vielmehr: Mandlbauers „Morbus Kickl“ richtete sich nicht gegen diesen, sondern gegen den Bewusstseinszustand, den Kickl beim kommentierenden Publikum, den politischen Gegnern und der Wählerschaft hervorrief. Nazinazi, ruft der Bazi!
Drei Stilfiguren, eine Gemeinsamkeit: sie alle verdrehen auf je ihre Weise die Wahrheit. Lüge als politischer Stil hat eben nie ausgedient, doch muss man ihr immer wieder die Grenzen aufzeigen.
Haben Sie trotzdem eine schöne Woche.
Ihr Armin Thurnher
Beisl-Konzerte in der Schleifmühlgasse
In der ersten Auflage der Beisl-Konzerte schlagen Ensembles der Wiener Symphoniker in Beisln in der Schleifmühlgasse auf und präsentieren sich im gemütlichen Ambiente – ohne Frack, dafür aber mit viel Musik! 10 Lokale, 10 Ensembles: vom Auftakt um 18:00 Uhr im Kulturraum Neruda bis zum Ausklang um 22:00 Uhr im Johnny's Pub.
16. Mai 2023, ab 18 Uhr, Schleifmühlgasse & Umgebung
Die Seuchenkolumne hat ihre tausendste Ausgabe längst überschritten. Es gälte leiser zu treten, alles ein wenig zurückzunehmen. Doch fällt es nicht leicht, ein neues Maß zu finden, zumal die allgemeine Vertrottelung der Staatsoperette eher zu- als abnimmt. Mit einem kosten- und folgenlosen Abo können Sie zusehen, ob und wie es dem Kolumnisten gelingt.
Der Sozialstaat Österreich war einmal der Stolz Europas. Geriet man anderswo in die Lage, ein Spital aufsuchen zu müssen, erinnerte man sich dankbar der Zustände zu Hause. Katharina Kropshofer und Soraya Pechtl werfen im FALTER in ihrer großen Reportage aus Krankenhäusern einen schonungslosen Blick auf die heutige Realität des österreichischen Gesundheitssystems.
Mit einem der hellsten und witzigsten Köpfe dieser nicht immer gut ausgeleuchteten Republik zu reden ist stets eine Freude. Das Gespräch mit Franz Schuh über mein Buch Anstandslos im Kreisky-Forum gehört zu den Highlights meines Jahres. Hier können Sie es in voller Länge nachhören.
Hier hat das Verbrechen mehr Qualität als in der Wirklichkeit. Hier wird es lehrreich, aufklärend und humorvoll aufbereitet. Deshalb sollten Sie keine Folge der neuen Staffel versäumen, in der Gerichtsmediziner Christian Reiter und FALTER-Chefredakteur Florian Klenk spektakuläre Kriminalfälle gemeinsam sezieren.