Vier Jahre Ibiza - FALTER.maily #1091

Florian Klenk
Versendet am 16.05.2023

Dieser Tage jährt sich die Veröffentlichung des Ibiza-Videos zum vierten Mal. Was ist seither passiert?

* Heinz-Christian Strache musste zurücktreten, weil er einer vermeintlichen Putin-Profiteurin ("Oligarchennichte") die Kronen Zeitung andrehen wollte und im Falle, dass sie ihn raufschreibt und Journalisten feuert ("zack, zack, zack!"), Staatsaufträge in Milliardenhöhe versprach.

* Sebastian Kurz musste zurücktreten, weil er – so gesteht es sein engster Vertrauter, der Finanzministeriums-Spitzenbeamte Thomas Schmid – die Kronen Zeitung und Österreich mit Steuergeldern in Millionenhöhe verwöhnt haben soll, damit sie steuergeldfinanzierte Fake-News Studien abdrucken und ihn an die Macht schreiben. Im Grunde also dasselbe Muster wie im Fall Strache.

* Ex-Familienministerin Sophie Karmasin steht vor Gericht, weil sie die Republik um 80.000 Euro betrogen und Ausschreibungen geschoben haben soll. Sie bestreitet, es droht ihr eine Haftstrafe. Heute sagte die Kronzeugin Sabine Beinschab gegen sie aus.

* Neben den Medien-Bestechungsaffären beschäftigt die WKStA der Novomatic-Komplex: Der Glücksspielkonzern steht im Verdacht, "am Rechnungshof vorbei" parteinahe Vereine gesponsert zu haben, um an ein liberaleres Glücksspielgesetz zu kommen. Der sogenannte "Casino-Komplex" stand drei Jahre still, weil ein beschuldigter Steuerberater beschlagnahmte E-Mails versiegeln ließ und die Sichtung ewig dauerte.

* Thomas Schmid war in den letzten Jahren auch wegen anderer Delikte geständig. Er gab zu, den Kurz-Fans René Benko und Sigi Wolf die Steuerbehörden vom Hals gehalten zu haben ("Wir sind die Hure für die Reichen"). Benko habe ihm dafür Goodies (einen Job mit 300.000 Euro Gage) versprochen, Wolf habe einer Finanzbeamtin einen besseren Job verschafft. Beide bestreiten. Die Sache sieht nach Anklage aus.

* Dann sind da noch ein paar andere Tangenten. Die Justiz-Spitzenbeamten Christian Pilnacek und Johann Fuchs wurden dabei erwischt, wie sie die WKStA vom Ibiza-Fall fernhalten wollten, deren Arbeit durch bürokratische Schikanen sabotierten und Interna an Medien spielten. Pilnacek ist suspendiert. Fuchs weiter im Amt, obwohl er zugab, vor dem U-Ausschuss gelogen zu haben, um sich vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen.

* Im Knast gesessen ist bisher nur einer: Julian Hessenthaler. Er fasste wegen Drogenhandels 3,5 Jahre aus. Einziger Beweis gegen ihn: ein Unterweltler (und dessen schwer beeinträchtigte Freundin), der vom berüchtigten Novomatic-Lobbyisten Gert Schmidt 55.000 Euro für "Informationen" bekam und sich danach plötzlich erinnerte, von Hessenthaler Drogen gekauft zu haben. Den von Hessenthaler geäußerten Vorwurf, dass hier die Glücksspielindustrie einen Belastungszeugen kaufte, um Hessenthaler ins Gefängnis zu bringen, wischte der Richter vom Tisch. Der Umstand, dass sich die Belastungszeugen widersprachen, sei ein Beweis dafür, dass sie sich nicht abgesprochen haben.

Das ist erstaunlich, denn Gert Schmidt wurde von seinem eigenen Mitarbeiter in einem anderen Fall belastet, dass er einem Novomatic-Kritiker Drogen ins Auto legen wollte ("Operation Schneesturm"). Und gestern wurde Schmidt am Landesgericht für Strafsachen Wien zu 9 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt (nicht rechtskräftig), weil er den ehemaligen Rapid-Torhüter Peter Barthold zu bestechen versucht haben soll, der vor dem U-Ausschuss die Novomatic belastete und als Zeuge aussagte, dass der Konzern Politiker geschmiert hatte. Barthold war Betreiber von Novomatic-Spielcafes. Das Urteil könnte Anlass sein, die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Hessenthaler zu prüfen.

Ibiza hat die politische Szene grundlegend verändert. Reformiert wurde das System hingegen nicht. Die wirklich großen Prozesse stehen noch bevor. In ein paar Jahren werden vermutlich Sebastian Kurz, seine engsten Berater und die Boulevard-Manager Fellner und Dichand auf der Anklagebank sitzen und es werden ihnen 10 Jahre Haft drohen. Die Gefahr haben die Betroffenen noch nicht wirklich realisiert. Ein freiheitlicher oder schwarzer Justizminister kann Untersuchungen durch Weisungen oder Schikanen in die Länge ziehen. Abdrehen kann er die Causa nicht mehr. Die Kronzeugen-Aussagen von Schmid und Beinschab lasten zu schwer.

Ihr Florian Klenk

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Ibiza: ein Blick ins Archiv

Dank der Kollegen von Süddeutscher Zeitung und Spiegel konnte der FALTER im Fall Ibiza von Beginn an mitrecherchieren. Unsere Arbeit von damals finden Sie hier. Die Aussagen von Thomas Schmid finden Sie hier. Jene von Sabine Beinschab hier. Und die Chats von Pilnacek und Fuchs hier. Die Inseraten-Affäre haben wir hier zusammengefasst.


Türkei

Wieso wählen die Türken ihren autoritären Präsidenten Erdogan trotz Erdbeben-Katastrophe, Inflation und Einschränkung der Opposition? Lukas Matzinger hat das Wochenende der Wahl in der Türkei verbracht. Seine Reportage lesen Sie hier. Raimund Löw kommentiert Erdogans Erfolg hier.


Ich bin o.k. und Du bist k.o.

Seit einem Jahr gestalte ich mit dem Gerichtsmediziner Christian Reiter den Podcast aus der Gerichtsmedizin. Rund 800.000 Downloads und ein am Sonntag ausverkaufter Stadtsaal zeigen, wie spannend Reiter aus seiner Welt erzählen kann. Besonderes Aufsehen erregte der Podcast über K.O.-Tropfen. Reiter fordert die Behörden zu besserer Beweissicherung und härterer juristischer Bewertung auf. Mehr dazu finden Sie in dieser Geschichte, die Daniela Krenn und ich hier veröffentlicht haben.


Der Fall Maislinger

Im Jahr 1997 schrieb ich das erste Mal über einen Mann namens Andreas Maislinger, der im Verein Gedenkdienst Jugendliche schikanierte (einen Link kann ich nicht bieten, damals haben wir die Artikel noch nicht digitalisiert). Die Sache versandete. 26 Jahre später beschwerten sich Jugendliche des Vereins Auslandsdienst erneut bei uns, dass Maislinger sie psychisch quält. Lina Paulitsch recherchierte wochenlang, was an den Vorwürfen dran ist. Ihre Enthüllungen haben nun den Rücktritt Maislingers zur Folge. Ihre Einordnung des Falles lesen Sie hier.


Podcast-Tipp

Florian Scheuba berichtet in der heute frisch erschienen Episode seines Podcasts über Leibeswinde des Volkskörpers und WKO-Tipps für Geschäfte mit Putin. Mit dem Investigativ-Journalisten Ashwien Sankholkar spricht er über immer aufklärungsbedürftiger werdende Deals und Machenschaften der OMV sowie mögliche Ursachen für das weitverbreitete mediale Schweigen dazu.


FALTER:WOCHE

"Service is our success" sagt diesmal unsere Kultur- und Programmbeilage – und gibt in der Titelgeschichte einen Ausblick auf die sehenswertesten Kino-Neustarts bis zum Sommer. Hollywoodproduktionen kommen darin ebenso vor wie eine österreichische Doku über den Wohnpark Alterlaa; um die erste Liebe geht es, die Ordnung der Elemente und das nun aber wirklich letzte Abenteuer von Indiana Jones. Auf das Literaturfestival Rund um die Burg stimmt Sebastian Fasthuber mit einem Porträt der österreichischen Autorin Romina Pleschko ein, und die Fotostrecke Leuchtkasten blickt in die Herbert-Liste-Ausstellung im Photoinstitut Bonartes. Den Wegweiser durch das Veranstaltungsgeschehen der Woche finden Sie wie gewohnt weiter hinten im Blatt.


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