Nie mehr Schule - FALTER.maily #1103
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen aus meinem Kärntner Jugendzimmer. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich heute wie damals nichts als Wälder ...
Die Frage stellen sich jetzt viele: Was hätte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner anders machen müssen? Wann ist sie wo falsch abgebogen?
Es ist ja Außenstehenden wirklich schwer zu erklären: Da hat eine kriselnde Sozialdemokratie eine toughe, kluge, junge und aparte Frau an der Spitze, die erste in ihrer Geschichte überhaupt. Sie ist im Gemeindebau aufgewachsen, schaffte den sozialen Aufstieg durch Bildung, wird Spitzenbeamtin, wurde dann sehr beliebte Gesundheitsministerin. Sie ist zudem Mutter von zwei Kindern und eine emanzipierte Frau. Könnte man sich als europäische Sozialdemokratie die perfekte Parteichefin von der Stange bestellen, man würde wohl eine mit einer Biografie wie Rendi-Wagner wählen. Vielleicht ein wenig Migrationshintergrund wäre noch fein, aber da hinken alle Parteien Österreichs hinten nach.
Und trotzdem funkte es nicht. Das sagt viel über Rendi-Wagner aus - aber auch über jene, die sie zuletzt immer wieder kritisierten. Sie sei kein "political animal", hieß es da oft. Ja eh, aber was versteht man darunter? Rendi-Wagner war eine engagierte Sachpolitikerin, sie interessierte sich für policy, dafür, wie man Dinge verändern kann, weniger für politics, für die innenpolitischen Ränkespiele.
Sie gab nur wenige Interviews, zu wenige, wurde immer wieder kritisiert. Bei einem wie Wolfgang Schüssel, ehemals ÖVP-Kanzler, der auch nur selten mit Medien sprach, adelte die Polit-Bubble diese Strategie mit dem Prädikat "Schweigekanzler". Rendi-Wagner wurde es als Schwäche ausgelegt.
Und im Abgang? Rendi-Wagners solide Abschiedspressekonferenz diesen Dienstag, bei der sie etwas Rührung zeigte, aber keine Nachfragen zuließ, wurde von einem ORF-Kommentator als "unemotional und verbittert" interpretiert. Auch bei den Rücktritts-Verkündigungen von Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner oder Sebastian Kurz waren Fragen unerwünscht. Und niemand sah das als Zeichen für irgendein Emo-Ding an.
Sie lesen schon, worauf ich hinauswill. Frauen werden nach wie vor anderes beurteilt als Männer in der Spitzenpolitik. Natürlich hat Rendi-Wagner Fehler gemacht. Ihr Größter war, sich mit den falschen Beratern zu umgeben und das auch nicht zu ändern, als Kritik daran laut wurde. Sie war auch noch loyal gegenüber ihrem Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, einem Mann der "politics", als es Zeit gewesen wäre, einzugestehen, dass es in der Parteizentrale Veränderungen braucht. So trat Rendi-Wagner bei der Mitgliederbefragung nicht als Reformerin, sondern als Apparatschik an.
Ein großes politisches Talent, binnen fünf Jahren verbogen. Wie schade. In einer anderen SPÖ, in der Alpha-Tiere sich in Präsidiums- und Vorstandssitzungen nicht zerfetzen, wie letzten Dienstag, gäbe es für jemanden wie Rendi-Wagner jetzt jedenfalls einen wichtigen Platz. Als Gesundheitssprecherin im Parlamentsklub, als designierte Ministerin in einer nächsten Regierung.
In dieser anderen SPÖ wäre eine Kampfabstimmung auch kein narzisstisches Dauerdrama, sondern eine wichtige und belebende Richtungsentscheidung, die fair ausgetragen wird und in der der Unterlegene danach eine Co-Rolle übernimmt. Hillary Clinton wurde auch Barack Obamas Außenministerin, nachdem er sie in der parteiinternen Vorwahl, den Primaries, besiegt hatte. Wer auch immer der nächste SPÖ-Parteichef wird: In Sachen innerparteiliche Demokratie- und Konfliktkultur muss sich alles ändern.
Und Rendi-Wagner? Auf die Frage, was sie machen wird, wenn sie verliert, scherzte die Parteichefin vor einigen Wochen im kleinen Kreis: Urlaub! Und dann eine neue Herausforderung in der Privatwirtschaft suchen. Das hat sie ihren männlichen Konkurrenten nämlich voraus. Sie kann locker loslassen. Weil sie war auf den Job als Politikerin nie angewiesen.
Ihre Barbara Tóth
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