Schlacht am Leopoldsberg - FALTER.maily #1099

Matthias Dusini
Versendet am 26.05.2023

Die Ungarn kommen. Wie Kollegin Lina Paulitsch im FALTER.morgen berichtete, kauft das Mathias Corvinus Collegium (MCC) die Modul University Vienna. Das ist eine ursprünglich von der Wirtschaftskammer Wien gegründete Privatuniversität, die Studiengänge im Fach Tourismus anbietet. Obwohl die Schule betont, der neue Eigentümer würde sich nicht in den Betrieb einmischen, verursacht die Veränderung Unbehagen.

Das Budapester Mathias Corvinus Collegium gilt nämlich als Flaggschiff von Orbáns illiberaler Demokratie. Vom Staat mit unverschämt hohen Geldsummen ausgestattet, bietet die Einrichtung Schüler:innen und Student:innen Kurse in Wirtschaft, Recht und Soziologie an. Der Thinktank ist der Versuch, die vermeintliche linke Hegemonie in der akademischen Forschung zu brechen. Feindbilder sind Liberalismus, Political Correctness (Wokeness) und "Genderwahn". Der hauseigene Verlag MCC Press publiziert Schriften der ultrakonservativen Birgit Kelle oder des neuchristlichen US-Autors Rod Dreher. Warum fiel das Auge der Ungarn auf den Kahlenberg?

Das könnte auch damit zusammenhängen, dass der Hügel über Grinzing eine Wallfahrtsstätte der europäischen Rechten ist. Am Kahlenberg entschied sich, so der Mythos, das Schicksal des Abendlandes. Anfang September 1683 verlor das gegen Wien anstürmende osmanische Heer die entscheidende Schlacht. So fiel Österreich – und mit ihm das Heilige Römische Reich – nicht an ein islamisches Gottesimperium.

Vor allem für polnische Nationalisten ist der Kahlenberg seit dem 19. Jahrhundert Kult. Es war schließlich ein Heer unter Führung des polnischen Königs Johann III. Sobieski, das dem Habsburger-Kaiser den Arsch rettete. Daher versammeln sich am Jahrestag im September regelmäßig große Mengen von Patrioten, die teilweise mit Bussen aus Warschau oder Krakau anreisen. Sie tragen historische Trachten, bringen Schlachtrösser und Krummsäbel mit. Die von polnischen Pfarrern betriebene St. Josef-Kirche spendet den Segen. Jahrelang veranstaltete auch die inzwischen verbotene Identitäre Bewegung im Andenken an die Schlacht Fackelzüge. Die Rechtsextremen erachten das Abendland als von muslimischen Migranten bedroht.

Allerdings fehlt es den Verteidigern christlicher Vorherrschaft an historischer Präzision. Denn mit dem Kahlenberg war ursprünglich der Leopoldsberg gemeint. Der mythisch überhöhte, von dem Pater Marco d'Aviano zelebrierte Gottesdienst vor der Schlacht am 12. September, an dem auch der polnische König teilgenommen haben soll, fand wohl in der dortigen Kirche statt. Das Mathias Corvinus Collegium könnte auch diesen Irrtum korrigieren. Mit der Milliarde Euro, die Viktor Orbán der intellektuellen Kampftruppe zur Verfügung stellt, wäre auch der Erwerb der leerstehende Burg Leopoldsberg im Rahmen des Möglichen. Für ein noch zu gründendes Marco d'Aviano Collegium.

Ihr Matthias Dusini


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