Kowall und Zwander

Florian Klenk
Versendet am 30.05.2023

Ich möchte Ihnen heute von zwei Sozialdemokraten erzählen, die ich in den vergangenen Jahren doch recht intensiv beobachten konnte und die ich schätze: Wolfgang Zwander und Nikolaus Kowall.

Zwander kenne ich gut, er arbeitete einige Jahre als Politikredakteur des FALTER, wir schrieben Tür an Tür. Ein belesener Linker, den eleganten Seiten des Lebens nicht abgewandt, ein Boxer, streitbar und mit dem Herz am rechten Fleck. Er schrieb über das Dilemma explodierender Wohnkosten, über Korruption und manchmal auch über Russland. Wenn wir über Putin diskutierten, waren wir entschieden anderer Meinung.

Er meinte, der Machthaber müsse – als Vertreter Russlands – vom Westen respektvoller behandelt werden, nur so könne der Frieden in Europa garantiert werden. Ich sah in ihm einen Kriegsverbrecher, den alleine die NATO abschrecken kann.

Zwander wechselte 2015 zu Doris Bures in den Nationalrat, landete dann über den Umweg der Wiener SPÖ und Christian Kern im Team Hans Peter Doskozil. Heute ist er Landesgeschäftsführer der SPÖ Niederösterreich. Wir hätten wohl beide nie gedacht, dass er ausgerechnet dort landet.

Nikolaus Kowall ist mir das erste Mal rund um die Glücksspieldebatte aufgefallen. Der "Parteirebell" der "Sektion 8" hatte diese FALTER-Geschichte über die Glücksspielfirma Novomatic gelesen und danach die Unterwanderung der Stadt durch diesen Konzern öffentlich skandalisiert. Wie kein anderer erkannte Kowall, dass sich in der Novomatic-Debatte jene Grundsatzfragen kristallisieren, die wir seit Ibiza diskutieren. Wer kauft die Politik? Wie schützt man die sozial Schwachen davor, dass die Reichen mit Schmierspenden ihre Interessen durchsetzen?

Der damalige Wiener SPÖ-Chef Michael Häupl stellte sich an einem SPÖ-Parteitag gegen Kowalls Antrag, das Glücksspiel in Wien zu verbieten – und verlor. Und anstatt Kowall in die Partei zu integrieren, ließ ihn die Wiener SPÖ nach Deutschland ziehen, wo er sich als respektabler Wissenschafter einen Namen machte. Heute kämpft Kowall für das Team Babler und kritisiert dennoch dessen naiven außenpolitischen Rekord. In der Russlanddebatte solle man "einen Kübel Eiswasser" über die Linke schütten, damit sie endlich aufwache, sagt er. Seinen exzellenten programmatischen Essay über Putin lesen Sie hier.

Warum erzähle ich Ihnen das so breit? Zwander, der vielleicht ein bisschen rechts im sozialdemokratischen Wertesystem steht und Kowall, der sich links der roten Mitte positioniert, sind zwei leidenschaftliche SPÖler. Und wenn man den beiden zuhört, lernt man viel darüber, was schief läuft in diesem Land. Vergangene Woche haben wir die beiden deshalb zu einem Streitgespräch eingeladen. Doch wir staunten nicht schlecht.

Die beiden krachten so intensiv aufeinander, dass wir zeitweise überlegten, in Wolfgang-Sobotka-Manier das Mikrofon abzudrehen. Sie können das Gespräch hier nachlesen und ab morgen hier nachhören. Wie zwei verfeindete politische Kontrahenten standen sich die beiden Linken gegenüber. Kowall warf Zwander und dem Team Doskozil vor, auf der "rechtspopulistischen Klaviatur" zu spielen und Kurz den Weg bereitet zu haben. Zwander wiederum stellte (das Landkind) Kowall ins Eck abgehobener Stadtpinkel, die von den Nöten der "Menschen in diesem Land" wenig Ahnung haben.

Ich wusste nicht so recht, was ich von diesem oft sehr untergriffig geführten Kampf halten sollte. War das jetzt lebendige innerparteiliche Demokratie, ein Streit, der einem das politische Spektrum der SPÖ aufzeigte? Oder zertrümmern da gerade kluge Linke die letzten Reste einer Staatspartei, weil sie fortwährend das (wenige) Trennende zu einem unüberwindbaren Problem hochjazzen?

Am Samstag werden SPÖ-Funktionäre über einen neuen SPÖ-Chef abstimmen. Entweder wird Kowall jubeln - oder Zwander. Die Partei befrieden wird der neue Parteichef allerdings nur, wenn er die Energie der Zwanders und Kowalls auf den politischen Gegner umleitet. Das wird die Herkulesaufgabe eines neuen Parteichefs.

Die programmatische Debattenarmut in der Partei während der Ära Viktor Klima, Werner Faymann und Pamela Rendi-Wagner hat der Sozialdemokratie enormen Schaden zugefügt. Die Genossinnen und Genossen müssen wieder streiten lernen und zwar so, dass die politische Rechte nicht grinsend daneben steht und sich die mit Kreide bestaubte Pfote reibt.

Ihr Florian Klenk

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Worum geht es eigentlich genau am SPÖ-Parteitag? Josef Redl und Nina Horaczek haben die wichtigsten Punkte hier aufgeschrieben. Das Streitgespräch zwischen Nikolaus Kowall und Wolfgang Zwander können Sie hier nachlesen.


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