Informationskrieg in Budapest

Lina Paulitsch
Versendet am 16.06.2023

Vergangene Woche reiste ich nach Budapest. Bei Reportagen in der ungarischen Hauptstadt kann ich mich nie sattsehen an ihrer Schönheit. An den hohen Häusern, die mich an Paris und Wien gleichzeitig erinnern. An der Donau, die ein bisschen wilder ist als bei uns.

Gedämpft wird dieser Eindruck bei der journalistischen Arbeit: Stadtwächter, die einen verscheuchen, sobald man die Kamera auspackt. 500-Euro-Strafen, weil man aus dem Auto heraus gefilmt hat. Und endlose Telefonate mit ungarischen Kollegen, um irgendwie ein Interview mit einem Fidesz-Politiker zu bekommen, die partout nicht mit internationalen Journalisten sprechen wollen (es klappte nie).

Dieses Mal recherchierte ich inkognito, angemeldet für das "Peace Forum". Zu der zweitägigen Konferenz waren Akademiker aus aller Welt geladen, um über den "Frieden im Russland-Ukraine-Krieg" zu sprechen. Eingeladen hatte das Mathias Corvinus Collegium (MCC), eine Denkfabrik der Fidesz-Regierung von Premierminister Viktor Orbán.

Wie dieser Frieden aussehen könnte, dazu lieferte die Konferenz keine konkreten Ideen. "Die europäischen Bürger wollen keinen Krieg", sagte Außenminister Péter Szijjártó pathetisch in seiner Eröffnungsrede. Verhindert würden die Friedensverhandlungen von westlichen Regierungen, deren Positionen von Mainstream-Medien nachgeplappert. Journalisten würden den Willen des Volkes missachten. Die ganze Reportage lesen Sie hier.

Interessanter als die Panels waren für mich die Kaffeepausen. Ich kam mit allerlei Menschen ins Gespräch, mit Studentinnen, Dozenten und US-Politikwissenschaftern. Eine Menge Amerikaner waren angereist, die Ungarn in den höchsten Tönen lobten. Etwa William Ruger, Afghanistan-Botschafter unter Donald Trump, und dort mitverantwortlich für den US-Truppenrückzug. Oder Jeffrey Sachs, Ökonom und früherer IWF-Berater. Ihr Tenor: Die NATO und die Demokraten wollen diesen Krieg. Hoffnung liege in der nächsten US-Wahl 2024 – und im Sieg der Republikaner.

Zu einer Diskussion über einen möglichen Atomkrieg war Max Abrahms geladen, der in Boston an der Northeastern University zu Sicherheit und Terrorismus forscht. Abrahms ist ein kleiner, gedrungener Mann, immer witzelnd und gut gelaunt. Er habe eigentlich keine Ahnung von Nuklearwaffen, flüsterte er mir im Publikumssaal zu. Als ich mich als Journalistin vorstellte, reagierte er verhalten, stimmte aber einem Interview zu.

"Es finden zwei Kriege statt", erklärte mir Abrahms. "Der operative Krieg vor Ort. Und der Informationskrieg – der Kampf um die Optik." Selenskyj habe diesen zweiten Krieg gewonnen, wegen seiner "Skills" in der öffentlichen Kommunikation. Auch bei der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sei die Strategie aufgegangen: Die Ukraine verleugne ihre Beteiligung. Doch in der Realität gingen die meisten, wenn nicht gar alle Angriffe von der Ukraine aus.

Aber, fragte ich, war es nicht der amerikanische Geheimdienst, der Russland für den Dammbruch verantwortlich machte? "Die Demokraten dürsten nach Blut", erwiderte Abrahms. Seit Donald Trump im Jahr 2016 Präsident wurde – und dafür Schützenhilfe von Putin bekommen haben soll – wolle Biden russische Soldaten fallen sehen. Warum das nicht als Kriegsursache bekannt sei? "Weil die US-Medien von der Regierung gesteuert sind." Ungarn, sagte Abrahms, sei ehrlicher. Beim Peace-Forum wäre jedem klar, dass es Orbán orchestriert.

Am Ende der Konferenz war mir mulmig zumute. Die "lügenden Medien", sie sind das Benzin im Feuer, das diesen Krieg in Onlineforen und als Politikum anheizt. Ausgerechnet Budapest avanciert nun zum Eldorado der Medienskeptiker und Putinversteher. Jenes Land, in dem die allermeisten Journalist:innen nicht unabhängig arbeiten. Dem "Informationskrieg" Russlands hilft das allemal.

Ihre Lina Paulitsch


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