Anstandsfragen

Armin Thurnher
Versendet am 18.06.2023

In den vergangenen Monaten bin ich ein wenig in Österreich herumgekommen. Ich präsentierte mein Buch „Anstandslos“. Darin rechne ich mit der Ära Kurz ab, aber weniger mit der Person des Ex-Kanzlers, die mich als solche nicht interessiert, sondern mit jenen Vorgängen, für die seine Person als Symbol steht. Man zögert, hier das Imperfekt zu wählen, weil allzu viel von dem, was Kurz repräsentiert, überall nach wie vor in Kraft ist und wirkt.

Ich meine damit eine Politik der Manipulation mittels gekaufter Medien. Eine Politik, die Gegner in Feinde verwandelt und diese Feinde dann attackiert, wobei Regeln der Zivilisation und des Anstands außer Kraft gesetzt sind. Mit den Feinden werden gleich auch tragende Elemente der Demokratie angegriffen, etwa die Justiz.

Anstand ist, auch darum geht es in meinem Buch, einerseits ein prekärer Begriff, weil für allerhand Heuchelei stets in Anspruch zu nehmen (allzu oft behaupten Korrupte und Skrupellose, Politik für „die Anständigen und Fleißigen“ zu machen). Zugleich weiß man genau, was gemeint ist und kann deshalb den Begriff gerade gegen solche Heuchelei in Stellung bringen.

Solche Fragen waren oft auch Thema bei den an Buchpräsentation anschließenden Diskussionen. Diese Diskussionen sind der Grund, warum ich hier von meinen Lesungen berichte. Ich habe nämlich überall bei einem durchaus nicht überalterten Publikum ein überraschend großes Interesse für diese Fragen vorgefunden. Das Unbehagen an dieser Art von Politik ist groß, die Sehnsucht nach einer anderen Praxis ebenso, und die Empfindlichkeit für die mediale Problemlage ist ausgeprägt.

Das scheint allen Trends zuwiderzulaufen, nationalen wie internationalen. Man sehe sich an, wie der Sender Fox News in den USA vor widerwärtigsten Fälschungen zugunsten von Donald Trump nicht zurückscheut, weniger um diesen politisch zu stützen, als vielmehr die eigenen Quoten zu retten. Auch bei uns sind es Verleger, die skrupellos das eigene Geschäft über alle demokratischen Rücksichten stellen und oft genug die miesesten Desinformationen wider besseres Wissen verbreiten.

Die Medienpolitikerinnen der Regierung, die zumindest den Markt ordnen und sich symbolisch auf Seite des Anstands zu stellen hätten, verhalten sich, als wären sie einer dieser Verleger. In wenigen Tagen wird die letzte Ausgabe der Wiener Zeitung erscheinen, weil nicht nur die Schwürkisen, auch die Grünen an dieser Art Medium, ich würde sagen an diesem strukturell anständigen Medium, kein Interesse haben. Ein Symbol, das man sich merken wird.

Was mich wie gesagt, beruhigt, ist die unaufgeregte, aber tiefe Besorgnis von Menschen, die ich in Versammlungen von Rankweil bis in die Wiener Außenbezirke kennengelernt habe und mit denen ich diskutieren durfte. Auch abseits aktueller Hoffnungs- und Depressionsträger traue ich mich deshalb zu sagen: Noch ist Österreich nicht verloren.

Ihr Armin Thurnher

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