FPÖ in Kabul: Die gescheiterte Gefangenenbefreiung - FALTER.maily #1204
Von Wien nach Istanbul und dann weiter mit der afghanischen "Kam Air", einer Fluglinie, die aus Sicherheitsgründen in der EU nicht ...
Leider muss ich heute Ärger und Unverständnis mit Ihnen teilen. Es geht um einen Ort, der mir meinen Gehörschaden eingebrockt hat (Punkkonzert, 1995) und einen Ort, an dem ich mich bisweilen über sozial inkompetente Mitarbeiter ärgere (bewusst nicht gegendert). Vor allem aber geht es um einen Ort, der zu den echten Oasen dieser Stadt zählt.
Es geht um die Arena draußen in Erdberg im dritten Wiener Gemeindebezirk. Sie kam in den letzten Tagen massiv ins Gerede, weil sich neue Anrainer:innen über zu laute Musik beschwert hatten. Die Arena gilt als größtes Kultur- und Kommunikationszentrum des Landes, und tatsächlich ist sie weit mehr als nur eine Konzertspielstätte. Die Arena ist ein Symbol. Ein Symbol für alternative Lebensentwürfe; für Utopien; für die Veränderbarkeit der Stadt Wien hin zum Guten.
Die Arena ist das Ergebnis einer Besetzung, deren tolle Geschichte hundertfach aufgeschrieben wurde, im FALTER zum Beispiel hier. Die Arena-Bewegung war 1976 weit mehr als ein Kampf von Langhaarigen für einen Ort zum Feiern. Sie war ein politischer Aufbruch, der 1977 nicht zuletzt auch zur Gründung des FALTER führen sollte. Nicht wenige Zeitzeug:innen meinen, dass das Jahr 1968 in Wien erst 1976 stattgefunden habe, mit der Arena-Bewegung eben.
Lustigerweise war die Arena zwar von Hippies erstritten worden, sie mutierte dann aber ratzfatz zu einer wichtigen Punk-Spielstätte. Inzwischen hat dort längst ein sehr breites Stilspektrum Platz, die Geschichten legendärer Konzerte und Partys füllen Bücher.
So lief das also, zum allgemeinen Glück, viereinhalb Jahrzehnte lang. Und dann stellten Immobilienentwickler der Arena während der Pandemie drei wuchtige Wohntürme vor die Nase, "The Marks" genannt, und einige der frisch Eingezogenen klagten doch tatsächlich umgehend über zu viel Lärm. Klar, die Arena verfügt auch über das wunderbarste Open-Air-Areal der Stadt, und da kann es schon einmal bis 23 Uhr lauter zugehen, allerdings eh nur an handverlesenen Terminen.
Nun gibt es offenbar folgende Einigung: Die Stadt, der Bezirk und der Bauträger der Türme finanzieren dem Arena-Trägerverein gemeinsam eine rund eine Million Euro teure Soundanlage für die Open-Air-Bühne. Als neumodernes Wunderding soll sie verhindern, dass es außerhalb des Areals in jenem tatsächlich unangenehmen Ausmaß wummert, wie das bisher der Fall war; drinnen würde es trotzdem laut bleiben.
Klingt gut, ist es für mich aber nur in einem Punkt: Die Arena bekommt eine neue Anlage für ihre größte Spielstätte – super! Die Vorgeschichte dazu bleibt ein Ärgernis. Denn wie kann es sein, dass ein seit Jahrzehnten etablierter Kulturort durch neue Anrainer:innen infrage gestellt wird? Baue ich mein Haus neben der Autobahn, muss ich davon ausgehen, dass sie brummt und surrt; miete ich eine Wohnung mit Blick auf die U-Bahn-Geleise, muss ich regelmäßiges Rattern einkalkulieren. Warum also wird eine Lärmbelästigungsbeschwerde in Sachen Arena nicht einfach schnurstracks ans Salzamt verwiesen?
Gesellschaftliches Miteinander funktioniert nur durch Rücksichtnahme, klar. Rücksicht gebührt allen, auch klar. Nur: In die Nachbarschaft eines seit Jahrzehnten etablierten Kulturorts zu ziehen und dann gegen diese Kultur vorgehen zu wollen, ist genau jener rücksichtslose Egoismus, an dem unsere Zeit krankt.
Ich möge mich beruhigen, mit der Einigung auf eine neue Anlage sei eh alles gut? Nein, tu ich nicht, die neue Soundanlage finanziere ich ja durch meine Steuergelder mit. Unter anderen Vorzeichen wäre mir das eine Freude. In diesem Fall aber sage ich: Wenn den Mieter:innen und Käufer:innen der Wohnungen in den Türmen etwas an der Nachbarschaft nicht passt, liegt es ja wohl an den Immobilienentwicklern, das zu klären und zu finanzieren.
Davon einmal ganz abgesehen, dass ich große Lust auf Wohnraumverdichtung, Leerstandabgabe und sonstige kreative Ideen der Wohnraumschaffung habe, frischer Bodenversiegelung und schicken Neubauten an dafür suboptimalen Orten aber genau gar nichts abgewinnen kann.
Schönes Wochenende, ob mit Ruhe oder kulturellem Getöse,
Ihr Gerhard Stöger
Falls Sie spontan in der Arena vorbeischauen möchten: Heute, Freitag, findet dort erstmals das Sisters Festival statt, bei dem auf und hinter der Bühne ausschließlich Frauen tätig sind. Ein Interview mit Karin Tonsern, einer der Organisatorinnen, zu Frauen im Musikbusiness und zur Causa Rammstein lesen Sie hier.
Ebenfalls toll, aber ausverkauft sind die britischen Krachmacher Idles am 12. Juli. Für Tash Sultana und Amistat am 17. Juli sind noch Karten erhältlich.
Unter dem Titel "Arena Wien 1976" finden Sie auf Youtube einen 80-minütigen Zusammenschnitt von Bild-, Ton- und Filmdokumenten zur Arena-Besetzung. Auch der kanadische Songwriter Leonard Cohen hat sich damals mit der Bewegung solidarisiert – und der Arena einen Besuch abgestattet. Unter anderem, um dieses wunderbare jiddische Lied zu singen.
Informationen zu allen Veranstaltungen der Arena finden Sie stets in unserer Kultur- und Programmbeilage FALTER:Woche sowie online auf unserer Website. In der aktuellen Titelgeschichte stellt Theaterexpertin Sara Schausberger Highlights des Festivals Impulstanz vor, das gestern mit einer fulminanten Eröffnung im Museumsquartier begonnen hat.
Die Überschrift zu Schausbergers Impulstanz-Artikel haben wir bei einem 40 Jahre alten Song der Ersten Allgemeinen Verunsicherung geborgt. Er zählt zu ihren besten – und diese Bewegtbilder dazu freuen womöglich nicht nur Kinder der Achtzigerjahre (das offizielle Video finden Sie hier). Und wenn wir schon bei der EAV sind: Ihr Geniestreich "Alpenrap" feiert heuer ebenfalls seinen Vierziger.
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