Sorry, Sora! - FALTER.maily #1201
Ich hoffe, meine Mail geht an den richtigen Verteiler. Weil - Sie haben es heute vielleicht mitbekommen und wenn nicht, erzähle ich es Ihnen ...
Wächst sich die Parteienkrise zur Staatskrise aus? (Beatriz Miller | Unsplash)
Ich bin ja mehr der Typ: Das Glas ist halbvoll statt halbleer. Also grundsätzlich optimistisch. Aber die Ausgangslage für die Nationalratswahlen 2024 lässt mich zweifeln.
Auch wenn es die ÖVP zu kaschieren versucht: Sie war schon vor der Machtübernahme von Sebastian Kurz in einer schweren Krise. Nach seinem Abgang ist sie es vollends. Aus einer darbenden, erfolglosen, konservativen Klientelpartei mit starkem Wirtschaftsfokus hat Kurz eine rechtspopulistische Stimmungsbewegung geformt. Mit ihm an der Spitze war die ÖVP erfolgreich, ohne ihn schlingert sie ohne inhaltlichen Kompass als schwacher Abklatsch der Blauen dahin. Wird Karl Nehammer bei den nächsten Wahlen nicht Nummer eins - und nichts spricht dafür - wird vieles aufbrechen.
Die SPÖ hat die große Krise auch noch vor sich, auch wenn sie uns im ersten Halbjahr 2023 schon tief in ihre Eingeweide hat blicken lassen. Der aktuelle Parteichef Andreas Babler ist ein Übergangsphänomen. Er entstand aus der Unzufriedenheit mit dem Partei-Establishment, allen voran mit der Wiener SPÖ. Es schaut nicht danach aus, dass sich am Parteitag im November 2023 substanziell etwas ändern wird. Keine der Babler'schen Forderungen (mehr Transparenz und Mitbestimmung in der Partei, 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Tempo 100 als Angebot an die Klimabewegung) werden sich dort durchsetzen, dafür sorgt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig. Verwalteter Stillstand also bei den Sozis. Das rote Wien, der einstige ideologische Motor der Partei, bremst.
Dass Babler die nächsten Wahlen gewinnt, ist ebenso unwahrscheinlich wie dass sich eine Mehrheit links der Mitte bestehend aus SPÖ, Grünen und Neos (mit der KPÖ?) bilden lässt. Derzeit hätte nicht einmal eine – bei ÖVP wie SPÖ völlig unbeliebte – große Koalition eine Mehrheit, zumindest wenn man die veröffentlichten Umfragen als Maßstab nimmt. Das könnte also knifflig für Bundespräsident Alexander Van der Bellen werden, der mit dem Anspruch angetreten ist, Kickl keinen Regierungsauftrag geben zu wollen.
FPÖ-Chef Herbert Kickl könnte nicht nur Wahlsieger werden, er könnte auch in die komfortable Lage gelangen, dass ohne ihn keine Koalition zu bilden ist. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, welche der beiden ehemaligen krisengeschüttelten Großparteien als Erstes auf sein Angebot eingehen wird: die ÖVP.
Die Formulierungen werden sich gewiss finden: In der Not, bevor das Land still steht, bevor wir in eine Staatskrise schlittern, werden wir aus tiefer staatspolitischer Verantwortung heraus als Juniorpartner doch in eine Regierung unter Kickl als Kanzler gehen. (Und die eigene Partei davor retten, nach fast 40 Jahren an der Macht in der Opposition zu versanden.)
Schließlich regiert die ÖVP mit den Blauen schon in Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg. Die Ansage Nehammers, Kickl sei ein "Sicherheitsrisiko", relativiert sich schnell, wenn man weiß, dass Kickls rechte Hand im Innenministerium, Reinhard Teufel, sein damaliger Kabinettschef, heute FPÖ-Klubobmann in Niederösterreich ist. Und damit Schlüsselfigur der dortigen türkis-blauen Zusammenarbeit.
Das ist natürlich alles hoch spekulativ und dystopisch. Aber leider auch nicht ganz unrealistisch.
Trotzdem einen schönen Sonntag wünscht
Ihre Barbara Toth
Falls Sie ihn noch nicht gelesen haben: Vergangene Woche veröffentlichte der Wahlforscher Christoph Hofinger (Sora Institut) im FALTER einen höchst spannenden Essay zu den Fragen, wer heute FPÖ wählen würde und aus welchen Motiven. Die Frage von pessimistischer vs. optimistischer Grundeinstellung spielt dabei übrigens auch eine gewichtige Rolle. Lesenswert!
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