Das Elend mit Rammstein

Die skandalgebeutelten deutschen Rockstars spielen zwei Stadionkonzerte in Wien. Gut möglich, dass es sich dabei um ihre letzten Auftritte in Österreich handelt

Gerhard Stöger
Versendet am 26.07.2023

Till Lindemann, Sänger von Rammstein (es gilt die Unschuldsvermutung) (© Paul Harries, Jens Koch)

Während Sie diese Zeilen lesen, fahre ich wahrscheinlich gerade vom Ernst-Happel-Stadion nach Hause. Die umstrittene deutsche Rockgruppe Rammstein spielt dort heute, Mittwoch, und morgen, Donnerstag, zwei ausverkaufte Konzerte.

Ich werde mir keines davon ansehen, aber mich interessiert, wie die Stimmung vor dem Stadion ist, wie die Fans drauf sind, die trotz massiver Vorwürfe an der Band festhalten – und wie sich die Demonstrant:innen verhalten, die eine Absage der Konzerte fordern (wovon ich persönlich nichts halte, wie sie hier und hier nachlesen können).

Es ist dieser Tage ein doppelter Eiertanz, über Rammstein, ihren Sänger Till Lindemann, und die von vielen Frauen erhobenen Vorwürfe sexueller Gewalt zu schreiben. Einerseits will jedes Wort auf die Waagschale gelegt und permanent die Unschuldsvermutung betont werden, ansonsten folgen umgehend Unterlassungsklagen von Rechtsvertretern des Sängers oder der Band.

Andererseits kommt der Versuch eines differenzierten Blicks bei Rammstein-Kritiker:innen nicht gut an. So teile ich etwa die allgemeine Empörung zum kolportierten Rekrutierungssystem bei Konzerten nicht: Sollen sich alte Rockstars doch mit jungen weiblichen Fans umgeben, wenn sie glauben, dieses Klischee ausleben zu müssen. Und sollen junge Frauen doch an diesen Partys teilnehmen, wenn sie Lust darauf haben.

Der entscheidende Punkt ist ein anderer: Auf diesen Partys hat, wie überall sonst, ein "Nein" ohne Wenn und Aber zu gelten. Sollte dem nicht so sein, liegt – ein weiterer wesentlicher Punkt – die Schuld nie beim Opfer, sondern immer beim Täter. So einfach ist das und doch so schwierig, denn die Debatten zum Thema drehen sich seit Ausbrechen des Skandals im Kreis: Hier die Fraktion "Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils", "Hexenjagd" und "Na, was hams denn glaubt, dass hinter der Bühne passiert?", dort die Empörung in Verbindung mit Konzertabsage-Gelüsten sowie genereller Kritik an intimen Kontakten zwischen Fan und Star als Machtmissbrauch.

Im Fall Rammstein haben wir folgende Konstellation: Eine ganze Reihe von Frauen beschreibt unabhängig voneinander ganz ähnlich geartete Übergriffe durch Rammstein-Sänger Till Lindemann. Dieser lässt durch seine Anwälte all diese Anschuldigungen als unwahr zurückweisen. Beweise gibt es keine, "nur" Aussagen.

Und drei Möglichkeiten: Eine ganze Reihe von Frauen lügt. Till Lindemann lügt. Oder aber: Niemand lügt, und die jungen Fans und der alternde Rockstar haben dieselben Ereignisse jeweils völlig unterschiedlich wahrgenommen, aus welchen Gründen auch immer.

Beim Heimspiel in Berlin hat Lindemann auf der Bühne kürzlich eine Textzeile geändert. "Die Vögel singen nicht mehr", heißt es im Original, "Die Sänger vögeln nicht mehr" sang er stattdessen gut versteckt an einer Stelle mitten im Lied. Ein Schuldeingeständnis? Verhöhnung der mutmaßlichen Opfer? Sein Verständnis von Humor? Bitte beantworten Sie diese Frage selbst, ich möchte nicht schon wieder dünnes Eis betreten.

Wie wird es nach dem Ende der Rammstein-Tournee weitergehen? Meine Prognose: Die Band wird die Arbeit längerfristig ruhend stellen oder sich überhaupt auflösen und Lindemann wird seine einschlägig auffälligen Soloaktivitäten einschlägig auffällig fortsetzen.

Rechtlich dürfte vom ganzen Skandal nicht viel bleiben, der ungute Nachgeschmack freilich ist der Band dauerhaft gewiss. Sollten sich Rammstein nicht doch noch zu einem vernünftigen Statement aufschwingen, stehen sie künftig alleine aufgrund der Anschuldigungen und ihres Umgangs damit in der Ahnengalerie toxischer Männlichkeit – egal, wie viele Anwaltsbriefe noch geschrieben werden.

Ihr Gerhard Stöger

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