Identitären-Demo neben dem Mahnmal gegen Faschismus

Rechtsextreme demonstrierten an jenem Wiener Platz, an dem auch das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus steht. Wie geht sich das aus?

Daniela Krenn
Versendet am 31.07.2023

Mitglieder der sogenannten "Identitären" ziehen durch die Wiener Innenstadt (Falter/Daniela Krenn)

Samstag Nachmittag, kurz vor 15 Uhr. Während ich mit dem Radl an der Oper vorbei düse, bohrt sich Martin Sellners Stimme bereits in meine Ohren. Mit Sprüchen, die klingen, als hätte er sie aus dem Anti-Ausländer-Sloganbuch von FPÖ-Obmann Herbert Kickl abgeschrieben.

Am Helmut-Zilk-Platz hinter der Oper hat sich die sogenannte "Identitäre Bewegung" (IB) zur Demo eingefunden. Sie sind auf "Remigrationstour", wie in großen Buchstaben auf dem T-Shirt des rechtsextremen Aktivisten und ehemaligen Sprechers der IB, Martin Sellner, steht. Und während er vom Podest brüllt, starren ihn rund 500 Menschen an. Ein bunter Mix aus ehemaligen Coronagegner:innen, Alt-Neonazis, und Leuten, die einem ORF-Kamermann "Lügenpresse" vor die Linse schreien. Die "Normalen", so bezeichnet Sellner die Menge. Mit schwarzen Regenschirmen bewaffnet, schirmen Jungs (Gendern nicht nötig) mit Sonnenbrille und New Balance-Sneakern Fotograf:innen von der Demo ab. Sellner probiert, die Menge anzuheizen, seine ausländerfeindlichen Reime mitzusingen, es klappt kurz. In der Führichgasse schreien Gegendemonstrierende "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda", sie übertönen Sellners Versuche. Eine Zusammenfassung der weiteren Geschehnisse dieses Samstages finden Sie hier und auf Twitter unter dem Hashtag #w2907 und dem Journalisten Michael Bonvalot

Doch wie kann es sein, dass sich die IB genau hier trifft, am Helmut-Zilk-Platz? Auf dem Boden unter ihren Füßen steht in Stein gemeißelt: "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus". Im Rücken der Neonazis die Skulptur Alfred Hrdlickas der "straßenwaschenden Juden", mit denen der Künstler die antisemitische Gewalt in Wien im März 1938 aufgreift, als Jüd:innen von den Nationalsozialisten gezwungen wurden, die Straßen mit Bürsten zu reinigen.

"Das Recht auf Demonstrationsfreiheit umfasst auch, dass sich Leute einen Platz suchen, der provoziert oder ihr Anliegen unterstützt", sagt Heinz Mayer, Verfassungsjurist. Er lehrte etwa an der Universität Wien und war in der Volksanwaltschaft tätig. Seit 2014 ist er im Ruhestand. Er ist sich sicher, dass die Wahl des Platzes eben genau das war: eine Provokation. "Aber Demonstranten dürfen provozieren, selbst wenn es der Mehrheitsgesellschaft nicht gefällt." 

Nur aus "triftigen Gründen" ließe sich eine Veranstaltung im öffentlichen Raum untersagen. Eine rechtsextreme Gesinnung ist da nicht unbedingt ausreichend. Dass Martin Sellner in der Vergangenheit mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen sei, halte er für ein "gutes Argument", aber "es braucht mehrere gute Argumente, um die Rechte von anderen einzuschränken".

Die Frage laute hierzu immer: Ist das öffentliche Wohl gefährdet? "Das wäre der Fall, wenn zum Beispiel die Veranstalter nach dem Verbotsgesetz verurteilt wurden und man davon ausgeht, dass das bei der Veranstaltung wieder passiert", so Verfassungsjurist Mayer. Das "größte Faschistentreffen Europas" in Bleiburg, wie der Spiegel es 2009 nannte, wurde nach diesen Kriterien verboten. 

Die Identitären nutzen also demokratisches Recht, während sie anderen ihre Rechte absprechen. Als "Gefahr" und "Bedrohung" bezeichnete Innenminister Gerhard Karner die Identitären bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichts 2022. Montag im Ö1-Morgenjournal wiederholte Karner, dass Kickl ein "Sicherheitsrisiko" darstelle, wenn er Teilnahmen an solchen Veranstaltungen gutheiße. Dass Vertreter der FPÖ-Parteijugend mit von der Partie waren, lässt die Bundespartei unkommentiert. Dafür werfen sie Medien "linksextremistische Unterwanderung" vor, während "die tatsächlich Normalen" demonstrieren würden.

16 Anzeigen vermeldete die Polizei nach dem Strafgesetzbuch, zwei nach dem Verbotsgesetz und 27 verwaltungsrechtliche Anzeigen. Welche politische Ausrichtung dahinter steckt, dazu will sich die Polizei Wien auf FALTER-Anfrage nicht äußern. Mit weiteren Anzeigen nach dem Verbotsgesetz darf man aber rechnen: Die Fotograf:innen, die zwischen den schwarzen Regenschirmen durchblitzen konnten, haben noch etliche verbotene Tattoos und Abzeichen auf der Kleidung der Demonstranten festgehalten. 

Eine schöne Woche,

Ihre Daniela Krenn


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