Bären im Gemeindebau, Jazz unter der Brücke - FALTER.maily #1199
Dass alles, was Konventionen und Grenzen ignoriert, sprengt und überschreitet, als „progressiv" zu gelten hat, ist ein liebgewonnenes ...
Rekonstruktion von Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum, 2011 (Südtiroler Archäologiemuseum / Heike Engel 21lux)
Also doch ein Migrant. Neueste Forschungen ergaben, dass es sich bei der Gletschermumie Ötzi um einen Mann handelt, der von anatolischen Bauern abstammen könnte. Und entgegen bisherigen Annahmen geht die lederne Hautfarbe nicht darauf zurück, dass der Leichnam 5000 Jahre im Eis lag. Vielmehr scheint Ötzi auch äußerlich kein Tiroler Bergbewohner, sondern ein Südländer gewesen zu sein. Die Puppe im Südtiroler Archäologiemuseum muss vielleicht überarbeitet werden, wurde sie doch bisher mit vollem Kopfhaar gezeigt. Die neue Genomstudie kommt zu dem Schluss, dass der türkische "Tourist" mit einer Anlage zur Fettleibigkeit eine Glatze hatte.
Seit der Leichnam im Jahr 1991 in den Ötztaler Alpen gefunden wurde, wird diskutiert. Jahrelang mussten die Finder, ein deutsches Touristenpaar um ihren Anteil kämpfen. Die Medien brachten den Bergsteiger Reinhold Messner, der sofort zum Fundort geeilt war, mit dem Sensationsfund in Verbindung. Lag das Objekt auf österreichischer oder italienischer Seite? Der südliche Nachbar entschied die Sache für sich. Seither beklagt das Ötztal, dass der Mann nicht als Ötztaler gilt. Hunderttausende Besucher reisen jährlich nach Bozen, um ihn zu sehen.
Der Mann aus dem Eis scheint auch ein Beispiel dafür zu sein, wie Wissenschaftskommunikation heute funktioniert. Der Ötzi ist eine Sensation, die sich öffentlichkeitswirksam ausschlachten lässt. Förderstellen werden spendabel, wenn sie vom Iceman hören. Analysen seiner Zähne und Arterien gehen um die Welt. Hat er Wild gegessen oder war er Vegetarier? Die Forscher erzählen seinen Tod als Krimi. Der Ötzikult stellt andere Themen in den Schatten.
Der Journalist Jakob Wetzel schrieb in der Süddeutschen über eine aktuelle archäologische Grabung in Südtirol, die Erstaunliches zum Vorschein brachte. In dem Ort Nals, nicht weit von Bozen entfernt, entdeckten Forscher einen Platz, an dem Menschen mehr als ein Jahrtausend lang – ab der Bronzezeit um 1000 v. Christus – ihre Toten bestatteten. Die Erde war voller Keramikscherben, Armreife, Knochenstücke und Ohrringe, insgesamt sammelte das Team eine Million Objekte.
Der Geschichtsfan würde gern hierher kommen, um die Lebenswelt dieser Menschen zu begreifen: das Überleben in der Wildnis und den Anbruch der Römerzeit. Doch ohne Star kein Geld. Die Bagger stehen bereit, um die Totenstadt abzuräumen. Wo Tausende Urtiroler:innen ruhen, entsteht demnächst eine Wohnsiedlung.
Der Andrang auf Ötzi hingegen ist ungebrochen. Das Südtiroler Archäologiemuseum bekommt daher ein neues Gebäude. Dabei hinterlässt die Begegnung mit dem steinzeitlichen Celebrity gemischte Gefühle. Der Blick durch das Guckloch erinnert an eine Peepshow, wissenschaftliches Interesse mischt sich mit Voyuerismus. Nicht zu Unrecht sprechen Kritiker:innen in diesem Zusammenhang von kommerzialisierter "Mumienpornografie". Bevor nun weitere Details über Mageninhalt und Migrationshintergrund ans Tageslicht kommen: Wann wird der arme Teufel endlich begraben? Möge Ötzi in Frieden ruhen.
Ihr Matthias Dusini
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