Der Rückzug der Soros-Stiftung aus der EU

Die Zivilgesellschaft osteuropäischer Länder, allen voran Ungarn, ist in den letzten Jahren von Förderungen der Open Society Foundation abhängig geworden. Jetzt wird der Geldhahn zugedreht

Lina Paulitsch
Versendet am 25.08.2023

US-Philanthrop George Soros, mittlerweile 93 Jahre alt, auf einer Veranstaltung 2018. Vor kurzem übergab er die Verantwortung seiner Stiftung seinem Sohn Alexander (Foto: Niccolò Caranti/CC BY-SA 4.0)

Wenn Sie ein bisschen googlen und ins Impressum von NGOs und Medien in Osteuropa schauen, werden Sie auf ein wiederkehrendes Logo stoßen. „Open Society Foundation“ (OSF) ziert das Fußende vieler Websites, die oft regierungskritische Arbeit präsentieren. Doch diese Organisationen könnten bald aufhören zu existieren. Die Stiftung kündigte ihren Rückzug aus der EU an, deren Institutionen „ohnehin für Menschenrechte“ bezahlten. „Unsere Arbeit innerhalb Europas wird extrem limitiert“, so der Wortlaut einer Aussendung.

Was bedeutet diese Nachricht? Die prominente OSF-Uni, die Central European University ist jedenfalls nicht betroffen, wie sie auf Falter-Anfrage bekannt gab. Die CEU hätte aufs Otto-Wagner-Areal ziehen soll, entschied sich dann aber anders. Sie residiert aktuell im zehnten Bezirk, nachdem sie Budapest aufgrund eines restriktiven Uni-Gesetzes verlassen musste. 

Die Budgetkürzung könnte das Hungarian Helsinki Committee gefährden, eine ungarische Menschenrechtsorganisation, die Teile ihrer Gelder von der OSF bezieht und 2021 für den Friedensnobelpreis nominiert war. Oder das Budapester Kulturzentrum Aurora, wo sich die LBGT-Szene Ungarns trifft. Und das unabhängige Online-Medium Atlatszo.hu, das ebenfalls Fördergelder erhält.

Ungarn war bisher ein Schwerpunkt des Engagements. Die Open Society Foundation gehört George Soros, 93 Jahre alt, Milliardär und Philantrop. Soros überlebte als ungarischer Jude die Nazi-Zeit, emigrierte in die USA und häufte ein Vermögen an der Wall Street an. Im Jahr 1984 begann er sein Geld in die Idee einer „open society“ zu pumpen, in eine demokratische Gesellschaft, um den damals sowjetischen Autoritarismus zu untergraben.

Bis heute sponsert Soros so gut wie alle Organisationen, die nicht auf Viktor Orbáns rechtskonservativer Linie sind. Anders können NGOs nicht überleben, staatliche Gelder gibt es immer weniger, strenge Gesetze immer mehr. In einem Ping-Pong-Effekt hat sich deshalb die OSF-Aktivität über die Jahre verstärkt – und in eine Abhängigkeit der ungarischen Zivilgesellschaft geführt.

Wer durch Ungarn fährt, dem ist Soros’ faltiges Gesicht gut vertraut, als Karikatur auf Fidesz-Plakaten. Dass es sich dabei um eine politische Strategie handelt, ist kein Geheimnis. Es war der amerikanische Politikberater Arthur Finkelstein – er beriet auch Ronald Reagan und Benjamin Netanjahu –, der Soros 2013 als Sündenbock erfand. Rhetorisch reiche es nicht, gegen eine anonyme, "globalistische" Elite zu wettern. Er empfahl Orbán, der ausländischen Macht ein Gesicht zu geben. Soros, der jüdische Investor mit pro-westlicher Agenda, war dafür perfekt.

Aber time flies by: George übergab die Stiftung kürzlich an seinen 37-jährigen Sohn Alexander Soros. Und der will alles anders machen und die jährlichen 1,5 Milliarden Dollar aus EU-Ländern abziehen. 40 Prozent der Mitarbeiter sollen eingespart werden. 

Warum jetzt, das ist nicht so ganz klar. Der Sohn interessiert sich offenbar einfach weniger für die Wurzeln seines Vaters. Die Stiftung wolle sich „größeren globalen Problemen“ widmen, sagte Alexander Soros, und im US-Wahlkampf mitmischen. Er trat als öffentlicher Unterstützer des demokratischen Präsidenten Joe Biden auf. 

Der Rückzug sei völlig „kontraintuitiv“, klagte Michiel van Hulten, EU-Direktor von Transparency International, jetzt, da rechtspopulistische Parteien erstarken wie nie zuvor. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine tritt Orbán als prominenter Putin-Versteher auf. Und er bastelt an einer autoritären Achse, die sich quer über den Globus spannt – bis zu den US-Republikanern und deren Kandidat Donald Trump. Alexander Soros könnte sich mit seiner "globalen" Neuausrichtung beträchtlich verkalkuliert haben.

Einen schönen Abend wünscht Ihnen

Ihre Lina Paulitsch


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