Die fast zu große Vernunft des ÖGB - FALTER.maily #1205
Eigentlich hätten die Tarifverhandlungen zwischen dem Vertreter der Metallergewerkschaft, Reinhold Binder, und dem Vertreter der Arbeitgeber, ...
Doris Byer, Historikerin und Kulturanthropologin: "Der NS-Rassenwahn war eine Selbstverständlichkeit." (Credit: Anna Stöcher)
Vor einem Jahr stach mir in der Buchhandlung A.Punkt der Titel eines Buches ins Auge: "Weiße Haut - Schwarze Seele". Es erschien in meinem Lieblingsverlag Matthes & Seitz Berlin und stammte noch dazu von einer Wiener Autorin. Wer ist diese Doris Byer, fragte ich mich, die es als weiße Autorin wagt, den Titel von Frantz Fanons "Schwarze Haut, weiße Masken" (1952), einem Klassiker Schwarzer Theorie, zu paraphrasieren?
So lernte ich eine eigensinnige Intellektuelle kennen, die für ihre historischen Forschungen Europa verließ, um sich mit der postkolonialen Welt auseinanderzusetzen. Die im Wiener Bürgertum verwurzelt ist und in Jamaika einen der ersten öffentlichen Auftritte Bob Marleys erlebte. Im aktuellen FALTER erzähle ich von der Begegnung mit Doris Byer, Jahrgang 1943. In diesem FALTER.maily wiederum lesen Sie ein Interview, das ich mit der Autorin geführt habe. Wir sprachen über das Nachwirken nationalsozialistischen Denkens, das Schimpfwort "Rassist!" und den fragwürdigen Humor der linken Bohème.
Frau Byer, Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg in einem bürgerlichen Milieu aufgewachsen. War das rassistisch?
Byer: Das ist schwer zu sagen. Wenn man heute "Rassist" sagt, ist das eine Beleidigung, ein auf moralischen Kriterien beruhendes Verdikt. Das lässt außer Acht, dass nicht alle Leute, die in dieser Ideologie befangen waren, in diesem Sinne Rassisten waren. Auch meine Familie war bis zu einem gewissen Maße in diesem Weltbild gefangen. Meine Eltern gehörten noch zur Generation des Kolonialismus, der zwischen den Kriegen einen Höhepunkt erlebte. Es hängt immer davon ab, welche Rolle Individuen im Rahmen dieses Paradigmas spielen.
Sie sprechen davon, dass der Rassismus heute moralisch verstanden wird. Wie meinen Sie das?
Byer: Den Rassismus als Beleidigung oder moralische Verfehlung zu begreifen, ist eine Verharmlosung. Man spricht auch von Alltagsrassismus. Dabei wird außer Acht gelassen, dass der Rassismus ein wesentlich breiteres und bedeutenderes Phänomen ist als die Missachtung einer anderen Gruppe.
Inwiefern?
Byer: Ich denke an jene Zeit, die gerne als das Europäische Zeitalter bezeichnet wird. Die Rassenideologie als wertende Klassifikation verschiedener menschlicher Gruppen entstand eigentlich in der Zeit der Aufklärung, auch wenn nicht alle Aufklärer, die sich daran beteiligten, Rassisten im heutigen Sinn waren. Sie haben aber die ideellen Voraussetzungen für die kolonialen Eroberungen gelegt und für einen Rassismus, der zu den bekannten sozialen Katastrophen geführt hat.
Sie haben das Österreich der Nachkriegszeit erlebt. Waren die Auswirkungen des NS-Rassenwahns spürbar?
Byer: Bemerkenswerterweise war davon wenig zu spüren, denn der Rassenwahn – als Fragmentierung der Menschheit in verschieden bewertete Gruppen – war zur Selbstverständlichkeit geworden. Dieses Denken durchdringt unsere westliche Kultur. Nach dem Krieg war es normal, dass man alle Afrikaner mit dem N-Wort bezeichnet und nicht als gleichwertige Menschen angesehen hat.
Auch bei Ihnen zuhause?
Byer: Da war es etwas anders. Durch die Arbeit meiner Eltern hatten wir früh Kontakt mit Menschen aller Hautfarben. Eine Schulkollegin sagte mir einmal, dass es hieß, dass im Haus Bernatzik die "N…" ein- und ausgegangen sind. Das war damals eine unerhörte Sache. Dabei waren das Botschaftsangehörige und Studenten. Es gab ja in den 50er- und 60er-Jahren auch in Österreich viele Stipendien für afrikanische Studenten, weil man bemüht war, sich mit den entstehenden neuen Staaten gut zu stellen.
1969 haben Sie Trevor Byer, einen farbigen, aus der Karibik stammenden Atomphysiker, geheiratet. Haben Sie damals Rassismus erlebt?
Byer: Trevor kam für eine Anstellung der Atomenergiebehörde nach Wien. Wir waren ein schickes Paar, das in den aufgeklärten Kreisen herumgereicht wurde. Da haben wir keine Feindseligkeiten erlebt. Anders war es in der Straßenbahn, wo die Leute sich abfällig geäußert haben. Er hat das zum Glück nicht verstanden. Auch anlässlich meiner Hochzeit gab es ein paar unangenehme Reaktionen. Die habe ich aber nicht ernst genommen, weil ich dachte: Das sind ein paar Übriggebliebene. Die werden irgendwann sterben, und dann wird es keinen Rassismus mehr geben. Ein großer Irrtum.
Gab es in der linken Bohème, die damals revoltierte, weniger Rassismus?
Byer: Ich habe diese Leute vor meiner Ehe am Rande mitbekommen. Das war ein sehr kleiner Kreis von Studenten, Künstlern und Intellektuellen, der sich auf ein paar Stammtische in der Innenstadt beschränkt hat. Ich bin da auch hin und wieder als fesche Katz', wie man damals gesagt hat, gesessen. Da habe ich eine Stimmung erlebt, die anders war, als sie jetzt häufig ein wenig idealisiert dargestellt wird.
Inwiefern?
Byer: Die sogenannten 68er waren unglaublich frauenverachtend und es war auch eine Selbstverständlichkeit, dass man abfällig über "N…" gesprochen hat. Das ist mir, die durch meine Eltern ein anderes Verständnis hatte, damals schon aufgefallen. Den Menschen fällt ja nur das auf, was nicht selbstverständlich ist. Deshalb haben sich diese Herren nichts dabei gedacht, weil es für sie normal war.
Da fällt mir eine satirische Geschichte aus den 60er-Jahren ein, die der Künstler André Heller über das Café Hawelka erzählt hat. Er wollte mit Friedensreich Hundertwasser und Christian Ludwig Attersee nach Uganda reisen, um einen neuen Übermenschenstamm zu züchten. Sie wollten mit schwarzen Frauen Kinder zeugen, damit "eine Vermischung zwischen afrikanischer Kraft und hawelkanischer Geistigkeit" entsteht. War das der Sound? (Die Anekdote finden Sie hier, ab Minute 37.)
Byer: Man weiß nicht, war das ein Witz oder haben die das ernst gemeint, weil sie sich so toll finden. Da kann man nur die Augen verdrehen. Wir haben damals ja bereits einiges über die Lebensborn-Züchtungsprojekte der Nazis gewusst. Was die Künstler hier fantasieren, ist eine groteske Spielart der Rassenideologie: durch gezielte genetische Auswahl bei der Zeugung einen besseren Menschen zu schaffen.
Wie sieht es heute aus mit dem Rassismus?
Byer: Unsere Hoffnungen waren falsch. Der einzige Unterschied zur Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit besteht darin, dass es keinen politischen Rassismus gibt, wie er etwa in den USA bis zur Bürgerrechtsbewegung dominant war. Aber wir haben eine Partei im Parlament, die einer Rassenideologie anhängt. Die Schulbehörden und die Öffentlichkeit verharmlosen das Mobbing in den Klassen, obwohl es Existenzen zerstören kann. Und mir fällt auch auf, dass Menschen, die sich als emanzipatorisch begreifen, manchmal unglaubliche Dinge sagen. Da heißt es dann plötzlich: Hand aufs Herz, wer will schon einen Schwarzen als Nachbar haben. Oder es gibt Männer in meiner Umgebung, die sagen: Ich bin kein Rassist, weil ich mit einer schwarzen Frau geschlafen habe.
Ihr Matthias Dusini
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