Being Sebastian Kurz

In "Kurz. Der Film" sehen wir den Ex-Kanzler als gefallenen Helden, der jetzt etwas Neues, Cooles macht – und noch große Pläne hat.

Barbara Toth
Versendet am 05.09.2023

Keine falsche Bescheidenheit: Ein Werbemittel für den Kurz-Imagefilm (Foto: Lina Paulitsch)

Demnächst kommen bekanntlich zwei Kinofilme über Ex-Kanzler Sebastian Kurz ins Kino. Ich empfehle dringend, wenn man sich fürs Thema interessiert, beide anzusehen. Denn erst in der Zusammenschau – als Double Feature – bekommt man einen umfassenden Eindruck von der Persönlichkeit und dem System Kurz.

Kurt Langbeins Doku "Projekt Ballhausplatz" ist kritisch-distanziert angelegt (eine Rezension meines Kollegen Matthias Dusini lesen Sie hier). Regisseur Sascha Köllnreitners überraschend an den Start gegangene Doku "Kurz. Der Film" ist dafür ein lupenreiner Imagefiilm. Alle Hintergründe dazu haben Lina Paulitsch und ich hier zusammengefasst. Mit Langbein kooperierten Kurz und seine Wegbegleiter nicht, mit Köllnreitner schon.

Regisseur und Produzent beteuern, dass weder Kurz noch sein Umfeld Einfluss auf das Drehbuch oder den Schnitt genommen haben. Mussten sie auch gar nicht. Denn die Kamera folgt ihrem Helden und seinem Lebensweg exakt so, wie er selbst es gerne erzählt.

Alle Anekdoten und die dazu passenden Narrative, die man aus Kurz-Interviews und von ihm autorisierten Büchern schon kennt, sind jetzt auch cineastisch verewigt: sein Aufwachsen im bodenständigen Meidling und Niederösterreich (nicht im noblen Hietzing). Dass die Junge ÖVP ihn zuerst gar nicht haben wollte, weil noch zu jung. Die erste Bewährungsprobe als Staatssekretär für Integration. Der Kampf gegen die höhnische Presse. Der Aufstieg als Außenminister zum international beachteten "Rising Star". Der Ibiza-Skandal als Schicksalsschlag. Und jetzt: ein neues Laben als Jungpapa und KI-Investor.

Kurz vor Ende des Biopics tauchen dann noch so ein paar komische Chats und Ermittlungen auf, eher en passant, die allesamt wortreich relativiert werden. "Eines Rechtsstaates nicht würdig", sei das Vorgehen der Justiz, sagt dazu Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel in die Kamera. "Kurz ist per se kein korrupter Charakter, aber kaltschnäuzig", meint Ex-Neos-Chef Matthias Strolz. Aber sein Umfeld, dieser "Narrensaum" - irgendwann sei man dann eben "nur Passagier". Kurz, Opfer seiner Mitstreiter: Hier zeichnet sich schon die Verteidigungsstrategie für den Vorwurf ab, frisierte Umfragen wurden auf Steuerzahlerkosten in der Zeitschrift Österreich platziert. "Es gibt keine einzige Nachricht, die problematisch wäre", behauptet Kurz.

Kurz stand dem Filmteam – unentgeltlich und ohne Erfolgsbeteiligung – ausgiebig zur Verfügung. Zweieinhalb Tage reservierte er für ein Interview, die Kameras begleiteten ihn auf eine Reise nach New York und Tel Aviv. Für so ein schmeichelhaftes Ergebnis hätte sich wohl jeder der Korruption und Falschaussage verdächtigter Ex-Politiker zur Verfügung gestellt. Der Film ist unbezahlbare Imagewerbung und Litigation-PR in einem.

Ihre Barbara Toth

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ZUM NACHSEHEN

Haben Sie Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer gestern im Sommergespräch gesehen? So wie er zweimal die Holzwände gestreichelt hat, den Raum als Symbol für die Republik und deren große Geschichte lobte, hatte man das Gefühl, er will FPÖ-Chef Herbert Kickl damit was ausrichten: Schau Herbert, das ist kein "Stasi-Verhörzimmer", wie Du es geschmipft hast, und Du bist einfach nur mehr jenseits. Ich habe für den aktuellen FALTER mit ORF-Sommergespräche-Interviewerin Susanne Schnabl und dem Chef der ORF-Talksendungen, Matthias Schmelzer, über das mittlerweile berühmte "Sprechzimmer 23" gesprochen - und die Frage, wie sehr sich Medien und Politik in den letzten sieben Jahren beschleunigt und überreizt haben. Nachzulesen hier.


PS

Ich finde die Abgrenzung zu Kickl, die Karl Nehammer gestern wortreich wiederholte ("Mit der FPÖ unter Kickl keine Koalition") übrigens scheinheilig. Warum, habe ich ebenfalls im aktuellen FALTER hier durchargumentiert.


Was Sie sonst im FALTER lesen

Außerdem im aktuellen FALTER: Eva Konzett und Katharina Kropshofer haben sich angesehen, was eine Erbschaftssteuer tatsächlich bringen könnte. Jasmin Speer hat eine Mehrgenerationen-WG besucht. Christina Vettorazzi hat sich angesehen, warum die Alte Donau mit Müll und Partys zu kämpfen hat. Nathalie Großschädel versucht herauszufinden, warum derzeit so viele kleine Labels Insolvenz anmelden müssen.


FALTER:WOCHE

Gleich zwei Pop-Festivals prägen diese Woche das Wiener Nachtleben. Waves Vienna präsentiert von 7. bis 9. September knapp 100 Konzerte vielversprechender junger Bands, zweckdienliche Hinweise dazu bietet die Titelgeschichte unserer Kultur- und Programmbeilage. Die Veranstaltungsreihe Unsafe+Sounds gibt sich von 7. bis 17. September experimenteller, Konzerthighlights der ersten Woche beschreibt Sebastian Fasthuber in einem Randspaltentext im Musiklexikon. Kunstevents locken diese Woche nicht nur im Doppel-, sondern gleich im Triplepack. Nicole Scheyerer weiß, was die Messen Viennacontemporary und Parallel Vienna sowie das Galerienfestival Curated by zu bieten haben.


Kolumne

"Söder ist der 'umgekehrte Lueger'. Bei Lueger hieß es: 'Wer ein Jud‘ ist, das bestimme ich.' Bei Söder heißt es: 'Wer ein Nazi ist, das bestimme ich.'" Harry Bergmann schreibt in seiner neuen Kolumne über den Flugblatt-Skandal in Bayern.


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