Pressefreiheit für Wehrschütz

Die Ukraine darf nicht entscheiden, wer für den ORF aus Kiew berichtet

Florian Klenk
Versendet am 12.09.2023

Der Journalist und Autor Christian Wehrschütz auf der Buchmesse Wien 2022 (Foto: C.Stadler/Bwag | Wiki Commons)

Der Standard berichtete kürzlich aus "gut informierten diplomatischen Kreisen", dass die Ukraine die Akkreditierung des ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz nicht verlängern wolle. Er berichte angeblich zu russlandfreundlich. Das letzte Wort ist noch nicht gefallen. Offenbar droht die Ukraine subtil dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Österreichs.

Das darf die heimische Medienszene und vor allem der ORF nicht unwidersprochen hinnehmen. Die Ukraine hat, so wie Österreich, die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert. Ihre Anwendung wurde zwar ausgesetzt, aber ihre Werte sind einzumahnen. In der EMRK ist im Artikel 10 die "Meinungsäußerungsfreiheit" vermerkt. Jedermann, so steht dort geschrieben, habe das Recht, Informationen zu beziehen und zu verbreiten und zwar ohne Eingriffe des Staates. In Kriegszeiten kann die Pressefreiheit natürlich zur nationalen Sicherheit eingeschränkt werden, aber eben nur dann, wenn dies "in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich ist". Es gibt gelindere Mittel, auf Wehrschütz zu reagieren, statt mit einem Entzug seines Visums.

Wehrschütz ist eine ambivalente und umstrittene Figur. Er schrieb in den 80ern für die rechtsextreme Aula, er interviewte dort den Holocaust-Leugner David Irving, er steht der FPÖ nahe, er ist ein kauziger Kriegsreporter, der – mit Erlaubnis des ORF – sowohl über den Krieg in der Ukraine berichten, als auch als Balkan-Korrespondent arbeiten darf. Und zwar allein. Das ist ein strukturelles Problem, ein Managementversagen des ORF.

Denn wer ständig unter Stress steht, macht Fehler. Die Berliner TAZ warf Wehrschütz unlängst die "Verbreitung prorussischer Narrative" vor.

Wehrschütz ist dennoch bei vielen Kolleginnen und Kollegen respektiert, aber viele erzählen, er sei auch kritikresistent und sozial schwer verträglich. Als ihm ein Blogger nachwies, dass er für einen Bericht über die Korruption in der ukrainischen Stellungskommission eine falsche Videosequenz einer Verhaftung unterlegte, dauerte es viele Stunden, ehe sich der ORF und auch Wehrschütz entschuldigten. Gegen den Vorwurf, Putin-Propaganda zu verbreiten, wehrt sich Wehrschütz hingegen gerichtlich. 

Soll er weiter alleine aus Kiew berichten? Diese Frage muss letztlich der ORF entscheiden und er wäre gut beraten, Wehrschütz zumindest ein professionelles Team zur Seite zu stellen, das ihn fordert, ihm widerspricht und ihn "challenged". Einen Weltkonflikt wie den Ukraine-Krieg einem einzigen Reporter umzuhängen, ist kein professionelles, sondern ein konfliktscheues Management von ORF-Chef Roland Weissmann.

Aber die Entscheidung für oder gegen Wehrschütz soll nicht die ukrainische Regierung fällen. Das wäre ein ungerechtfertigter Eingriff in die Pressefreiheit und würde jenen Vorschub leisten, die der Ukraine vorwerfen, in Wahrheit nicht für die liberale Demokratie zu kämpfen. Journalisten wie Wehrschütz muss die Ukraine aushalten. Wenn er Fehler macht, soll sie es ihm mitteilen. Laut und deutlich, via Social Media und nicht per Arbeitsverbot in Kiew.

Ihr Florian Klenk

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