Sorry, Sora! - FALTER.maily #1201
Ich hoffe, meine Mail geht an den richtigen Verteiler. Weil - Sie haben es heute vielleicht mitbekommen und wenn nicht, erzähle ich es Ihnen ...
Die Musikerinnen Jelena Popržan, Sibylle Kefer, Katharina Hohenberger und Julia Lacherstorfer (v.l.n.r.) (Fotos v.l.n.r.: APA/Neubauer | Wolfgang H. Wögerer | Hubert Mican/First Look | APA/Schlager)
Seit zwei Wochen gehe ich wieder in die Redaktion. Die eineinhalb Jahre davor habe ich zu Hause verbracht, in Karenz. Wenig von dem, was kulturell oder politisch geschehen ist, drang zu mir durch. Ich war mit anderem beschäftigt.
Vier Alben von vier Frauen, die alle Sängerinnen, Musikerinnen sowie Komponistinnen sind und in Österreich leben und arbeiten, haben mich jedoch auf ganz spezielle Weise erreicht - in meiner neuen Mutter-Welt durchgerüttelt und auch davon abgesehen zum Nachdenken gebracht. Vielleicht gefallen Ihnen die Alben, aus eventuell ganz anderen Gründen.
Jenseits jedes Genres bewegt sich die Bratschistin Jelena Popržan. Auch mit ihrem im Dezember 2022 erschienenen Album Jelena Popržan Quartett (Lotus Records). Sie komponierte eigens für ihr Ensemble, experimentiert mit kleinteiligem Jazz, spannt große melodische Bögen, dazwischen webt sie ihre eindringliche Stimme. Das ist die eine Hälfte des Albums. Die andere besteht aus Vertonungen von Gedichten der polnisch-jüdischen Lyrikerin Tamar Radzyner. Und diese haben mich besonders beeindruckt. Porpržan gibt einer unheimlich mutigen Frau Stimme und Ton. Radzyner war im Zweiten Weltkrieg im kommunistischen Widerstand und überlebte drei Konzentrationslager. Polen wurde nach 1945 kommunistisch. Radzyner musste vor dem neuen Regime und dessen Antisemitismus fliehen. Sie kam Ende der 1950er-Jahre nach Wien. In „Ein Rat für die Tochter“ führt die Mutter ihrem Kind die Bitterkeit der Welt und die Brüchigkeit jeglicher Ideologien vor Augen. Und macht ihm trotzdem Mut. Ein Kunststück.
Mit ihrem Album „Spinnerin (a female narrative)“ gelang der Violinistin Julia Lacherstorfer, eine Protagonistin der zeitgenössischen Volksmusik, im Jahr 2020 eine Großtat. Die Komponistin ging daran, große Lücken in der österreichischen Volksmusik zu schließen. Denn dieser fehlen seit jeher Lebensgeschichten von Frauen. Für das Album führte Lacherstorfer auch viele Interviews, etwa mit ihrer Mutter. Teile der Gespräche arbeitete sie in die einzelnen Stücke ein. Ähnlich ging sie nun bei ihrem neuen Album „Nachbarin (a diverse narrative)“ (Lotus Records) vor. Lacherstorfer thematisiert Migrationsgeschichten, Wunden und Narben, die geblieben sind, auch ihre eigenen. Lacherstorfer Stimme ist weich und eindringlich zugleich. Langsame getragene Melodien, dazwischen Töne in kleinen Schritten, nahezu sphärische Klänge ließen mich hineinschauen in Biografien, die viel zu selten erzählt werden. Und dann war da „A Kind braucht an Naum“. Trommelschläge, Lacherstorfers Stimme. Ein bedrohlicher Rhythmus. Es geht um ledige Kinder, und die ledigen Kinder lediger Kinder und wie über sie geredet wurde. Wie die Menschen rund um sie sich abwandten und ihnen keine Chance gaben. Eines von ihnen ist im Ofen gefunden worden, ganz verkohlt. Die Großmutter habe es gut gemeint. Sie wollte ihm die Schande ersparen, heißt es.
Die Violinistin Katharina Hohenberger ist nicht nur Sängerin, Musikerin und Komponistin, sondern auch Veranstalterin. Sie bietet in ihrer Wienerlied-Konzertreihe „Einedrahn“ neuen und etablierten Künstler:innen Auftrittsmöglichkeiten. Sie selbst steht mit ihrer Band als Wiener Brut auf der Bühne. Hohenberger ist auch Schauspielerin. Das merkt man ihren Performances an. Sie traut sich in ihren meist im Dialekt gesungen Chansons, die Figuren in ihren Liedern darzustellen. Sie liebt nicht nur das Tiefsinnige, Ernste, sondern auch die Komödie. Auf ihrem neuen Album „Was morgen is“ (Nonfoodfactory) betrachtet sie kritisch und humorvoll die Corona-Pandemie, die Männerwelt oder die ÖBB. Gleichzeitig präsentiert sie wundervolle Balladen wie „Winta“. Nahegegangen ist mir „Abflug“, ein Lied für ihre Tochter, die auf dem Sprung in ein eigenes Leben ist. Es ist das Lied einer lieben Mutter und starken Frau, die ihr Kind begleiten, aber nicht aufhalten will.
„hoid“ (Musikmanufaktur) heißt das neue Album von Sibylle Kefer. Es ist Musik, die überwältigt und erschüttert. Kefers Stimme ist zart und stark. Wie alles an Kefers Werk. Es ist Kefers drittes Soloalbum, auf dem sie ausschließlich im Dialekt singt. Die Musik ist bisweilen anstrengend zu hören. Komplexe Melodien und Texte verlangen mir volle Konzentration und Auseinandersetzung ab. Und es lohnt sich. Es sind Stücke, die oft im Kleinen, im Alltag beginnen und dann den Bogen zu großen gesellschaftlichen Fragen spannen.
Kefer schreibt übrigens auch einen lesenswerten Newsletter, in dem sie in ihrer ruhigen, klugen Art etwa Position zu Themen wie Machtmissbrauch im Musikgeschäft bezieht. In „hoid“ geht es viel ums Aufstehen, sich wehren, auch ums Scheitern. Und um Hoffnung und Versöhnung. Im letzten Lied „liawa hoffnung“ beschreibt sie poetisch und umarmend, wie sich plötzlich wieder Möglichkeiten auftun. Und wie sich ihre Protagonistin lieber nicht fürchtet. Weil Fürchten so müde macht. Ein Satz, der mich seither begleitet, als Mutter, aber auch sonst.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende,
Ihre Stefanie Panzenböck
Wo wir bei tollen Musikerinnen sind: Björk, die isländische Ausnahmekünstlerin, spielt am 19. September in der Wiener Stadthalle. FALTER-Musikredakteur Gerhard Stöger porträtiert sie hier anhand 20 ihrer Songs.
Wenn Sie die Lieder beim Lesen auch gleich dazu hören möchten: Unser Digital-Team hat eine Playlist zum Artikel erstellt. Viel Spaß beim Hören!
Im FALTER.natur-Newsletter beschreibt Florian Klenk poetisch und einfühlsam vom Glück, in einem Garten zu sein. Lesen Sie nach und lassen Sie sich zu einem Naturerlebnis, egal ob im eigenen Garten oder im nächsten Naherholungsgebiet, inspirieren.
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Apropos Newsletter und Natur: Klaus Nüchtern hat im FALTER.morgen eine neue Serie gestartet, in der er jeden Mittwoch die Wiener Stadtränder ab- und für Sie vorwandert. Ideal für den Herbst! Hier gehts zur ersten rural-urbanen Entdeckungstour.
Ab auf die Matte
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